10 Kanzleien im Arbeitsrecht personalmagazin plus: Kanzleien 2023 Klarer Baustein Nr. 4 daher: Digital, wo immer möglich. Bei Arbeitsvertrag, Befristung, Betriebsversammlungen und überall sonst. Ist Diversity der Schlüssel? Die meisten Unternehmen setzen auf Diversity (und meinen zumeist Genderdiversity). Das ist richtig, oder anders gesagt: Wir haben den Zustand, den wir brauchen, erst erreicht, wenn wir darüber nicht mehr sprechen brauchen. Aber ist das eine lohnenswerte Sache? Sind Quoten, wie sie etwa das FüPoG vorsieht, sinnvoll? Eher nein. Schon mathematisch ist das wenig sinnstiftend. Der Frauenanteil unter MINT-Akademikern wird sich bis 2030 einer Studie zufolge von heute rund sieben Prozent auf nur 14,8 Prozent erhöhen. Erstens. Und zweitens: es wird immer weniger MINT-Absolventen geben. Also: wir suchen 100 Prozent, der „Topf“ gibt uns aber nur 80 Prozent. Und aus diesen 80 Prozent meint doch niemand ernsthaft, dass jedes (!) Unternehmen 50 Prozent Frauen oder Männer abbekommt? Gleichzeitig ist die Anzahl der weiblichen Jura-Absolventen mittlerweile höher als 50 Prozent – es wäre also seltsam, wenn Juristinnen bei der Einstellung unterrepräsentiert wären. Heute ist das so. „Damals“, eine mittlere Karriere unterstellt, also vielleicht vor 25 Jahren, war der Frauenanteil unter Akademikern in Summe deutlich niedriger. Wie – auch hier nicht politisch-dogmatisch, sondern rein evaluatorisch-mathematisch – sollen damit heute 50 Prozent Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten zu finden sein? Diversity ist zwingend nötig, sollte aber umfassender gedacht werden: Diversity heißt auch Alter, junges Alter genauso wie hohes Alter. Viele Unternehmen haben schon entdeckt, wie wertvoll „Senior Experts“ sind. Viele Unternehmen bilden aus, weil sie damit an junge Talente kommen, die dann weiter- und fortgebildet werden sollen und können. Kann das Arbeitsrecht hier helfen? Ja, mit einem fünften Baustein: wenn schon Quoten (ich bin dagegen, aber stehe vielleicht einsam in der Wüste damit – also gleich ein Kompromiss), dann erstens branchenbezogen (ja, ich erwarte in der Kosmetikindustrie – derzeit noch – mehr Frauen in Führungspositionen als in der Stahlindustrie), und zweitens retrospektiv berechnet, denn wenn vor 25 Jahren in einem Berufsfeld nur 7 Prozent weibliche Abgänger abgeschlossen haben, können sich heute nicht 50 Prozent Frauen in Führungspositionen befinden (7 Prozent aber schon). Beschäftigung darf im Alter nicht erschwert werden mit Altersschutz, höheren Urlaubsansprüchen und dergleichen, wie das in machen Tarifverträgen zu finden ist, sondern Erschwernisse müssen abgebaut werden. Lebensarbeitszeit bis 70? Die Gesamtarbeitszeit muss erhöht werden, das ist ein zusätzlicher Baustein zu Migration, zu Automatisierung, zu Reaktivierung in das Erwerbsleben. Nicht nur die Produktivität wird benötigt, sondern auch das Rentensystem verlangt dies unzweifelhaft. Natürlich passt das nicht auf jeden individuellen Beschäftigten und jede Beschäftigung, aber im Durchschnitt ist ein Erwerbsleben von 35*35, also 35 Jahre mit 35 Stunden Wochenarbeitszeit, schlicht nicht ausreichend. Ich möchte nicht festlegen, was die „richtige“ Formel wäre. Aber auf jeden Fall führt uns das zu Baustein Nr. 6: Flexibilisierung von Arbeitszeit und Lebensarbeitszeit, Unterbrechungen ohne sozialversicherungsrechtliche Risiken, „Beschäftigte“ müssen auch sozialversichert sein, wenn sie ein „eigenfinanziertes“ Sabbatical (ohne Zeitwertkonten) einschieben, ältere Beschäftigte, die nach Erreichen der Regelaltersgrenze noch arbeiten, müssen rentenwirksam etwas davon haben. Tarifverträge müssen flexibler werden, was die Dauer der Arbeitszeit angeht (ebenso wie das Arbeitszeitgesetz). Fazit: Mehr Spielräume nötig Ein modernes Arbeitsrecht richtet sich an den Bedürfnissen der Zukunft aus, sowohl an äußeren Bedürfnissen als auch an denen der Beschäftigten. Modernes Arbeitsrecht muss flexibler werden, einfacher, transparenter und digitaler. Modernes Arbeitsrecht lässt den Vertragspartnern und Betriebspartnern mehr Spielräume und muss daher massiv dereguliert werden. Die Einführung von Automatisierung und KI muss erleichtert werden. Das Arbeitsrecht muss sich den neuen Generationen die bald unsere Arbeitsplätze einnehmen, anpassen: Technologieaffin und immer online, ungeduldig und fordernd, gesundheits- und umweltbewusst. Und zu weiten Teilen selbstbestimmt – Bevormundung von Gesetzgeber, Tarifpartnern oder auch Betriebspartnern in einem Übermaß wird nicht goutiert werden! ALEXANDER R. ZUMKELLER ist Arbeitsdirektor und Country HR Manager der Deutschen ABB, Präsident des Bundesverbandes der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU) sowie Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator.
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