83 DIGITALE WETTBEWERBSFÄHIGKEIT Dass Schweden hochdigitalisiert ist, ist längst bekannt. Mit „ICT für Everyone“ gibt es hier schon seit 2011 eine digitale Agenda. Die Devise neben einer digitalen Gesamtstrategie: mutige Gründer fördern durch ein funktionierendes Sozialsystem, Rückendeckung geben durch Start-up-Hubs und gezielte Investitionen in Innovation. Mit mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts investiert Schweden laut Bundeswirtschaftsministerium deutlich mehr in Forschung und Entwicklung als die meisten anderen Länder. Laut einer Erhebung der Deutsch-Schwedischen Handelskammer existieren im nordischen Königreich aktuell mehr als 5.000 Start-ups – in Relation zur Bevölkerung liegt Schweden damit sogar noch vor den USA. Darüber hinaus haben die Skandinavier nach dem Silicon Valley weltweit pro Einwohner die höchste Anzahl an „Unicorns“, also Start-ups, die mindestens eine Milliarde Dollar wert sind. Spotify, Klarna oder das im benachbarten Estland entwickelte Skype sind die berühmtesten Beispiele. Die Musikplattform Spotify gilt mit einem Wert von rund 30 Milliarden US-Dollar zurzeit als das wertvollste Tech-Unternehmen in Europa. Zum Vergleich: Das höchstbewertete deutsche Unternehmen im Ranking ist Zalando mit rund 13 Milliarden US-Dollar an vierter Stelle. Was Schweden deutlich von Deutschland unterscheidet, ist die Verankerung des Themas in der Gesellschaft: das digitale Mindset. Regierung und Industrie begreifen Digitalisierung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die neben politischen Weichenstellungen durch einen schnellen Ausbau der Glasfasernetze, frühe IT-Bildung, aber vor allem auch durch eine flexible Arbeitskultur gefördert wird. Erfolgsgeschichten der Hochdigitalen SCHWEDEN Ähnlich wie in Schweden gab es in Estland bereits früh eine klar strukturierte digitale Agenda. Durch eine konsequent durchgeführte Digitalstrategie zählen die Esten in der Digitalisierung der öffentlichen Dienstleistungen zur europäischen Spitzengruppe: Mittels E-Identität können Dokumente wie Personalausweis und Führerschein online verlängert werden. Bürgerinnen und Bürger können Unternehmen darüber anmelden, Arztrezepte erhalten und sogar Verträge unterzeichnen. Auch die Notwendigkeit von Verstärkung aus dem Ausland wurde früh erkannt: Die so genannte „E-Residency“ ermöglicht es ausländischen Digitalisierungsexperten, die digitale estnische Staatsbürgerschaft zu beantragen und so verstärkt Unternehmensniederlassungen in Estland zu gründen. Was Estland dabei grundlegend von Deutschland unterscheidet, ist die transparente Haltung zu Daten. Offene Kommunikation ist für Estland essenziell, die elektronische Erfassung aller Daten wird als Vorteil gesehen. Strukturierte digitale Agenda ESTLAND Unsere europäischen Nachbarn haben uns im Hinblick auf strukturiertes Datenmanagement und den Austausch von Informationen einiges voraus. Einen Hemmschuh hierzulande stellt zum Teil das föderale System und sein hoher Koordinationsbedarf dar. Bessere Technologien und Strategien auf der einen Seite reichen aber nicht. Ohne eine positive Einstellung zur Digitalisierung und die Bereitschaft, dafür auch Daten preiszugeben, kann digitale Transformation nicht gelingen. Hier liegt der zweite wichtige Grund für die schleppende Digitalisierung in Deutschland: Die Grenzen einer intelligenten Datennutzung sind allein schon aus Datenschutzgründen schnell erreicht. So sorgt die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) auch drei Jahre nach Inkrafttreten noch für Unsicherheiten. Laut einer Befragung des Digitalverbands Bitkom im Jahr 2020 verzichtet jedes zweite Unternehmen in Deutschland aus Datenschutzgründen auf Innovationen. Die große Mehrheit der Befragten kämpft mit der Umsetzung. Doch noch hat Deutschland den Anschluss nicht ganz verloren: Mit der jüngst eingeführten Digitalstrategie kann es gelingen, Technologien wie KI, maschinelles Lernen und Mustererkennung stärker voranzutreiben, Verantwortlichkeiten zu klären und strukturierte Antworten auf wichtige Fragen zu liefern. Allen voran: Wie finden wir eine Balance zwischen Innovationen und Datensicherheit? Wie fördern wir Start-ups, ohne den Datenschutz zu vernachlässigen? Neben einem achtsamen, verantwortungsbewussten Umgang mit Daten müssen wir notwendige Daten teilen und Datensilos aufbrechen – dafür muss eine Veränderung im Mindset deutscher Nutzerinnen und Nutzer, aber auch der Unternehmen stattfinden. Doch in der Folge der Pandemie ist ein deutlicher Bewusstseinswandel zu erkennen, der hoffen lässt. Die Frage ist längst nicht mehr, ob wir uns umstellen, sondern wann. Digitale Lektionen DEUTSCHLAND
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