69 BUILDING INFORMATION MODELING Transparenz der Arbeitsabläufe, Langlebigkeit und Zugänglichkeit von Daten für die gebauten Anlagen. Nur mit BIM, so Matthijs, könnte die Effizienz und Nachhaltigkeit von Bauprojekten gesteigert werden. Die Produktivität in der Baubranche sei in den letzten 20 Jahren nur um ein Prozent pro Jahr gestiegen. Andere Branchen machten deutlich mehr Fortschritte, so Matthijs. Aber auch: „Ein Erzwingen der Nutzung ist natürlich nicht immer der beste Weg, um neue Standards durchzusetzen. Aber imFall von BIMmacht es absolut Sinn, um sicherzustellen, dass die Immobilienbranche endlich in eine digitale Transformation auf Basis von Standards einsteigt, die der Branche einen Schub geben werden.“ Funktionieren kann BIM aber nicht allein durch rechtlichen Zwang, sondern nur dann, wenn die von allen Beteiligten eingepflegten Daten auch präzise und sicher sind. Sichergestellt werden kann dies mit einem Common Data Environment (CDE) als einziger und abgesicherter Informationsquelle für ein Bauprojekt – und zwar über dessen gesamten Lebenszyklus, also Cradle to Cradle. AUF DER ZEITACHSE DENKEN Der Vorteil bei Gewerbebauten, deren Lebensalter meist 50 Jahre nicht übersteigt: Die Daten für das Recycling der einzelnenKomponenten am Bau werden schon bei der Erstellung hinterlegt. Digitale Planungsmethoden werden überlebenswichtig, weil schon in nicht allzu ferner Zukunft mit einer Einbeziehung der Baumaterialien von Neubauten und Sanierungsmaßnahmen in eine CO2-Bilanz und eine entsprechende Bepreisung zu rechnen ist. Diese kann nur mittels Recycling reduziert werden. Auf dieser Zeitachse denken heißt auch, BIM in die vierte Dimension zu überführen. In ersten Projekten geschieht dies auch schon, indem der digitale Zwilling weiter genutzt wird, um das Gebäude digital zu betreiben. Dabei müssen zwei Funktionen von BIM generell gewährleistet bleiben: die erste, die eben Betrieb, Wartung, Asset Management und Facility Management unterstützt, und die zweite, die auf Bauplanung, Architektur und Gebäudeautomation ausgerichtet ist. » Herr Liebsch, wie stehen Sie zu einer BIM-Pflicht bei den öffentlichen Auftraggebern? Das halte ich für äußerst sinnvoll. Für Bundesbauten gibt es bei Projekten von mehr als fünf Millionen Euro Bausumme bereits eine verpflichtende Prüfung, ob BIM einen Vorteil bietet. Und das gilt für die allermeisten Projekte. Daher stellen sich auch die Landesbauämter immer mehr auf BIM ein. Doch auf die Schnelle ein BIM-Team bei einer Landesbaudirektion aufzubauen, funktioniert nicht. Stattdessen gilt es, finanzielle Mittel und vor allem viel Zeit in das BIM-Know-how zu stecken, Verantwortlichkeiten zu definieren und Rollen neu zu verteilen. Dazu gehören Schulungen, Workshops und Pilotprojekte, um das BIM-Wissen zu praktizieren. Was muss ein BIM-System leisten können? Common Data Environment, kurz CDE: Vereinfacht geht es um die Software-Landschaft, die in den Projekten verwendet wird. Zum einen stellt sie durch eine Schnittstellendefinition den verlustfreien Datenaustausch zwischen den Systemen sicher. Zum anderen garantiert sie, dass Informationen nur an einem Punkt als „Single Source of Truth“ und nicht mehrfach und damit potenziell widersprüchlich gepflegt werden. Dies bildet die Grundlage für einen digitalen Zwilling während des gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes. Dafür muss konsequent und kontinuierlich aktualisiert werden, wie sich ein Gebäude im Verlauf der Zeit verändert, etwa durch Erweiterung oder neue Technik. Hier bestehen in der Praxis noch viele Herausforderungen, Probleme an den Schnittstellen, die zu Datenverlust führen, oder das Nutzen verschiedener, teils widersprüchlicher Datenquellen und Ablageorte. Kann man BIM für die Bauanforderungen aller Branchen anwenden? Absolut. Unterschiede bestehen dann darin, wie man die Vorteile der BIMMethode gezielt nutzen kann und über klar definierte Modellanwendungsfälle in das Projekt trägt. Ein Krankenhausbau etwa ist in der Regel sehr komplex. Es gibt sehr viele verschiedene Arten von Räumen, und wichtig ist die Beziehung, in der sie zueinander stehen: Welche Entfernung muss der Raum fürs Pflegepersonal zu den Patientenzimmern haben oder der Aufwach- zum OP-Raum? Mit BIM lässt sich das in einem modellgestützten Raumbuch genaustens hinterlegen und für die Kommunikation und Abstimmung mit allen Projektbeteiligten nutzen. Bei Logistikgebäuden oder Industriehallen geht es im Vergleich dazu um eine meist weniger komplexe, dafür aber eine sehr schnelle, ressourcenschonende Konfiguration. Gerade in Verbindung mit der Modularisierung von Bauteilen bringt BIM hier enorme Zeit- und Kostenvorteile. Welche Vorteile sehen Sie in BIM für die Verwalter? Übernimmt der Verwalter ein mit BIM geplantes Gebäude, sind in der idealen Welt alle betriebsrelevanten Daten schon vor Betreten des Gebäudes in seinem System. Damit das funktioniert, müssen auch bei der Bauausführung die Modelldaten aktuell gehalten werden. Die große Frage dabei ist: Wie viel Unschärfe enthält der digitale Zwilling, also in welchem Maß weichen BIM-Planung und gebauter Zustand voneinander ab? Wer BIM erfolgreich nutzen will, braucht unbedingt die betriebsrelevanten Informationen. Dafür muss der projektspezifische Aufwand, den digitalen Zwilling kontinuierlich zu aktualisieren, in einem angemessenen Kosten-Nutzen-Verhältnis stehen. „Am Anfang bis zum Ende denken“ INTERVIEW Peter Liebsch ist Associate Partner und Leiter Digitale Prozesse und Werkzeuge bei Drees & Sommer. Das auf Bau und Immobilien spezialisierte Planungs- und Beratungsunternehmen setzt seit zwölf Jahren auf BIM. Fotos: Nemetschek; Klinikverbund Südwest; Siemens
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