wirtschaft und weiterbildung 9/2017 - page 33

wirtschaft + weiterbildung
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deren Hauptfigur Dr. Cal Lightman als
weltbester menschlicher Lügendetektor
durch die Analyse des Gesichtsausdrucks
und der Körpersprache Lügen und Täu-
schungen aufdecken kann. Seine Firma
war auch für Sicherheitsdienste und das
Militär tätig. Längst arbeiten auch viele
Trainer in Deutschland mit Ekmans Mi-
kroexpressionen und versprechen ihren
Teilnehmern, dadurch Lügen besser ent-
larven zu können.
Doch die Theorie der Mikroexpressionen
ist höchst umstritten. „Ekmans Theorie
hat einer kritischen Prüfung bisher nicht
standgehalten“, erklärt Claus-Christian
Carbon, Psychologieprofessor an der Uni-
versität Bamberg und Forscher im Bereich
Wahrnehmungspsychologie. So referiere
Ekman immer wieder auf wissenschaft-
liche Artikel, die entweder nicht zugäng-
lich sind oder deren Existenz nicht sicher
ist, da sie nicht in den entsprechenden
Datenbanken zu finden sind. In ihrer von
Professor Carbon betreuten Diplomarbeit
hat Ute Brütting trotz intensiver Suche
und Nachfrage bei Ekman keine überzeu-
genden wissenschaftlichen Studien zu
der Theorie gefunden.
Dennoch setzte man in den USA auf Ek-
mans Mikroexpressions-Theorie. So be-
richtete die Zeitschrift „Nature“ im Mai
2010, dass rund 3.000 Mitarbeiter der
Transportation Security Administration
(TSA) an 161 Flughäfen mit einem auf
Ekmans Theorie basierenden Programm
geschult wurden, um Personen identifi-
zieren zu können, die eine potenzielle
Sicherheitsbedrohung darstellen. Von
Januar 2006 bis November 2009 wur-
den damit mehr als 232.000 Passagiere
einem zusätzlichen Sicherheitscheck un-
terzogen. Weniger als ein Prozent davon
wurde festgenommen – allerdings nur
wegen krimineller Vergehen, die nichts
mit Terrorismus zu tun hatten. Das Milli-
onen Dollar teure Programm gilt daher als
gescheitert. Bereits 2008 hatten die bei-
den kanadischen Forscher Stephen Por-
ter und Leanne ten Brinke in ihrer Studie
„Reading between the lies“ die Existenz
und Relevanz der Mikroexpressionen
stark in Zweifel gezogen. Das Durch-
sickern von inkonsistenten Emotionen
geschah bei allen Personen mindestens
einmal und dauerte länger als die Mikro-
expressionen. Diese traten nur bei 21,95
Prozent der Studienteilnehmer auf.
Ekmans Behauptung, dass sich allein
aufgrund der Gesichtsausdrücke 70 Pro-
zent aller Lügen entdecken lassen, hält
bisher ebenfalls keiner empirischen Prü-
fung stand. „Zahlreiche Metaanalysen
zeigen, dass die Entlarvung von Lügnern
nur knapp über der Ratewahrscheinlich-
keit liegt und sich auch kaum trainieren
lässt“, erklärt Oliver Wilhelm, Professor
für psychologische Diagnostik an der
Universität Ulm. Weil wir wahrnehmen
wollen, was andere fühlen und andere
genau das verbergen wollen, gebe es so
etwas wie ein Wettrüsten. Und da Lügen
sanktioniert werden, wenn sie auffliegen,
strengen wir uns besonders an, erfolg-
reich zu lügen. „Wir sind zu gute Profis
im Lügen“, so der Psychologe. Wie Ge-
sichtsausdrücke täuschen können, zeigt
auch ein Experiment, das Professor Wil-
helm durchgeführt hat. Dabei bekamen
die Versuchspersonen sehr schmerzhafte
Elektroschocks. Einmal sollten sie ihre
Schmerzen im Gesichtsausdruck zei-
gen und ein anderes Mal sollten sie sich
nichts anmerken lassen. „Menschen kön-
nen ihre Gesichtsmuskeln unterschied-
lich gut steuern“, so der Psychologe. „Bei
manchen hat trotz Schmerz nicht mal
eine Augenbraue gezuckt.“ Vom Gesichts-
ausdruck automatisch auf die Emotion
einer Person zu schließen, könne daher
irreführend sein.
Kann man es trainieren,
Lügner zu erkennen?
Skeptisch ist Wilhelm auch, ob sich die
Emotionswahrnehmung trainieren lässt.
„Die Wirksamkeit der Trainings ist grund-
sätzlich zu hinterfragen“, so der Psycho-
loge. Zum einen sei es nicht so einfach,
die Emotionswahrnehmung zu messen.
Zum anderen sei Emotionserkennung
eine kognitive Leistung mit einem hohen
genetischen Anteil, was sich nur schwer
trainieren lasse, so Wilhelm. „Das schei-
tert schon daran, dass wir als soziale
Wesen im Laufe unserer Entwicklung
automatisch unzählige Gesichter sehen“,
erklärt der Wissenschaftler. Da sei ein ge-
zieltes Training nicht wahrnehmbar.
Die wenigen brauchbaren Studien hätten
ergeben, dass ein Training nur sehr be-
schränkt funktioniere. In einem Experi-
ment entwickelte er mit seinen Kollegen
ein Trainingssystem zur genauen Erinne-
rung von Gesichtern und der Geschwin-
digkeit der Gesichtserkennung. Dabei trai-
nierten Erwachsene 29 Tage lang jeweils
15 Minuten am Computer. Das Training
der Geschwindigkeit zur Gesichtserken-
nung führte zwar zu besseren Leistun-
gen, der Trainingseffekt wirkte sich dabei
jedoch genauso gut auf die Verarbeitung
anderer Stimuli aus. Das Training scheint
daher eher die allgemeine Fähigkeit zur
Verarbeitung von komplexen visuellen
Reizen zu beeinflussen und nicht nur die
von Gesichtern. Was die Genauigkeit der
Erinnerung von Gesichtern angeht, wur-
den keine Trainingseffekte gefunden.
Bärbel Schwertfeger
Foto: Ollyy / shutterstock.com
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