Seite 34 - wirtschaft_und_weiterbildung_2013_01

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personal- und organisationsentwicklung
34
wirtschaft + weiterbildung
01_2013
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Kunden zuweilen mit einem Knicks be-
grüßt wurden. Das schmeichelte zwar
den schon ergrauten Kunden. Bei jün-
geren Kunden löste ein so devotes Ver-
käuferverhalten aber Befremden aus.
Beziehung Unternehmensführung zu Mit-
arbeitern.
Vom ersten Tag an begrüßte
Disper morgens die Mitarbeiter, denen
er begegnete, per Handschlag und oft
wechselte er mit ihnen einige Worte.
Dies führte zu erstaunten Reaktionen wie
„Machen Sie das jetzt jeden Tag?“. Denn
die Mitarbeiter waren es nicht gewohnt,
als Individuen wahrgenommen zu wer-
den. Und noch ungewohnter war für sie,
dass ein „Chef“ sie nach ihrer Meinung
fragt. Entsprechend wenig Eigeninitiative
ging von ihnen aus.
Bei Tlapa muss sich ein Kulturwandel
vollziehen – das war Disper schnell klar.
Zugleich lautete aber eine Vorgabe des
Stiftungsvorstands: Das Geschäft darf
Ende des Jahres keinen Verlust mehr
aufweisen. Entsprechend groß war der
Handlungsdruck, unter dem der neue
Geschäftsführer stand. Deshalb dachte
er: „Jetzt gilt es zunächst mal durch Pro-
motions- und mithilfe eines auf Zusatz-
verkäufe abzielenden Verkaufstrainings
den Umsatz und Ertrag zu puschen.“
Zugleich war er aber unsicher: Ist dies in
der aktuellen Situation zielführend? Des-
halb kontaktierte er die Mittelstandsbera-
tung Nollens, Dessel & Kollegen, Soyen in
Oberbayern.
Mit deren Geschäftsführer Ulrich Dessel
tauschte er sich über diese Frage aus. Im
Gespräch kamen beide überein: Ein Ver-
kaufstraining bringt in einer Situation, in
der bereits erste betriebsbedingte Kündi-
gungen erfolgt sind, wenig. Hierfür sind
die Mitarbeiter zu verunsichert. Wich-
tiger ist es, ihnen endlich reinen Wein
einzuschenken; des Weiteren, dass Disper
für sich ermittelt: Auf welche Führungs-
kräfte kann ich bauen?
Disper und Dessel verständigten sich auf
einen mehrstufigen Fahrplan. Zunächst
traf sich Disper mit dem Prokuristen und
dem Verkaufsleiter zu einem Workshop,
in dem er diesen seine Pläne und Er-
wartungen erläuterte. Ein Ergebnis war:
Das Unternehmen trennte sich von dem
Verkaufsleiter. Stattdessen wurde Hans
Hubert Zwenig als rechte Hand des Ge-
schäftsführers eingestellt. Denn Disper
brauchte laut Dessel einen „geistigen
Kompagnon, um das gewachsene System
zu ändern. Als Einzelkämpfer hätte ihn
dieses geschluckt.“
Herausforderung:
Mitarbeiter ins Boot holen
Danach informierte Disper in einer Be-
triebsversammlung die Mitarbeiter über
die Situation. In einer „Brandrede“ sagte
er ihnen: Im Modehaus Tlapa müssen tief
greifende Veränderungen erfolgen, damit
es wieder zukunftsfit wird. Auch ein wei-
terer Personalabbau ist nötig. Auf diese
Information reagierten die Mitarbeiter
einerseits mit Wut und Enttäuschung, an-
dererseits waren sie froh, erstmals offen
über die Situation informiert zu werden.
Entsprechend wichtig war es nach den
Entlassungen, die verbliebenen Mitarbei-
ter aufzufangen. Das geschah in Work-
shops, die Ulrich Dessel und sein Ge-
schäftsführerkollege Rainer Nollens mo-
derierten. In ihnen wurde unter anderem
herausgearbeitet, dass die Vergangenheit
– auch wenn ein großer Modernisierungs-
bedarf besteht – ein solides Fundament
Für alteingesessene Familienbetriebe gilt
oft: Der „Patriarch“ an ihrer Spitze prägt
nicht nur die Kultur. Auch alle Prozesse
sind auf ihn zugeschnitten. Zeigt der Fir-
meninhaber aufgrund seines fortgeschrit-
tenen Alters in den letzten Jahren seiner
„Regentschaft“ nicht mehr den früheren
Elan, dann legt sich über das gesamte
Unternehmen eine Art Patina. In einer
solchen Situation befand sich An­fang
2008 auch das Modehaus Tlapa, Wien,
als Norbert Disper dessen Geschäftsfüh-
rung übernahm. Das Unternehmen, das
zu diesem Zeitpunkt bereits einer Stif-
tung gehörte, schrieb rote Zahlen. Und
außer seiner Stammkundschaft war auch
seine damals 155-köpfige Belegschaft
überaltert. Sie bestand weitgehend aus
Mitarbeitern, die seit Jahrzehnten für
das Modehaus arbeiteten. Entsprechend
groß war ihre Identifikation mit Tlapa.
Entsprechend verfestigt waren aber auch
viele Routinen. Disper erläutert dies an
drei Beispielen.
Personaleinsatzplanung.
Eine solche gab
es praktisch nicht. Zumindest gab es
keine Einsatzplanung, die fragte: Welche
Manpower brauchen wir zu welchem
Zeitpunkt im Unternehmen? Stattdessen
orientierte sich die Planung überspitzt
gesagt daran: Wer hat wann Zeit? Dieser
ineffektive Personaleinsatz wirkte sich
auf den Anteil der Personalkosten an den
Gesamtkosten aus. Er lag bei über 35 Pro-
zent – also weit über Branchenschnitt.
Umgang mit Kunden.
Überrascht regis-
trierte der neue Geschäftsführer, dass die
Standardformel zum Eröffnen von Kun-
dengesprächen bei den Tlapa-Verkäufern
lautet: „Kann ich Ihnen helfen?“ Und
noch verdutzter war er, dass honorige
Neuer Glanz in altem Haus
Fallstudie Unternehmensentwicklung.
Das Wiener Modehaus Tlapa schrieb
vor vier Jahren rote Zahlen. Deshalb unterzog sich das 1873 gegründete
Traditionsunternehmen einer Radikalkur: Aus der Stagnation heraus gelang es
Führungskräften und Mitarbeitern eine neue, visionäre Unternehmensstrategie zu
formulieren und gemeinsam umzusetzen.
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