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10_2011
wirtschaft + weiterbildung
43
mern nicht aufhören wollen, sorgen Sie
unauffällig dafür, dass diese nicht mehr
zusammensitzen. Wie soll das gehen?
Man kann diejenigen doch nicht wie
in der Schule auseinander setzen. Das
stimmt. Deswegen sollte das ganz unauf-
fällig geschehen.
Ein paar Beispiele aus der Seminarpraxis:
Sie bilden Zweierteams durch klassisches
Clustern, zum Beispiel, indem Sie die Teil-
nehmer bitten, sich der Körpergröße nach
in einer Reihe aufzustellen. Nun bilden
Sie aus den neu Nebeneinanderstehenden
jeweils Paare und bitten sie, sich für eine
kurze Reflexion oder Übung nebeneinan-
derzusetzen. Es entsteht also eine neue
Sitzordnung. Diese Veränderung machen
Sie nach der Übung einfach nicht mehr
rückgängig.
Zweites Beispiel: Sie bitten die Teilnehmer
zu Beginn des Seminars, sich nach jeder
größeren Pause einen neuen Sitzplatz zu
suchen (Spielregel). Meine Lieblingsin-
tervention bei Seitengesprächen besteht
nur aus einem Wort mit vier Buchstaben:
„Laut!“ Ich schaue die beiden Tuschler
mit einem Nicken an und fordere sie in-
teressiert auf, kurz laut zu sagen, was sie
beschäftigt hat. Und Sie werden staunen:
Fast immer ist das Gesagte nützlich für
die Weiterführung des Seminarthemas.
Wenn nicht, ist das nicht schlimm, weil
die Tuschler nun merken, dass der Trainer
aufmerksam ist. Spätestens beim zweiten
Mal „Laut!“ wird’s ein bisschen peinlich.
Eine Ich-Botschaft zum Tuscheln lautet
etwa: „Sorry, dass ich jedes Mal nach-
frage, was ihr gerade besprecht. Ich denke
jedes Mal, da gibt es etwas Interessantes,
und bin kurz irritiert. Könnt ihr das laut
sagen?“
Die gute Methode des Spiegelns funktio-
niert hier übrigens auch ganz einfach:
„Ihr zwei habt euch wirklich viel zu
sagen!“ Und noch ein Beispiel für eine
Musterbrechung: Einfach zu einem an-
deren Teilnehmer hingehen und selbst
ganz lässig ein kleines Flüstergespräch
anfangen, am besten über die beiden
Tuschelnden. Das aber wiederum nicht
schulmeisterlich, strafend, sondern ein-
fach nur schmunzelnd. Deswegen rufen
Sie anschließend gleich zu den Tuscheln-
den noch die Aufforderung zu: „Laut!
Was gab’s bei euch?“.
Jürgen Schulze-Seeger
störtes Verhältnis zu Frauen“ hinweise.
Ich war, wie Sie sich denken können,
aufs Äußerste bestürzt. Die übrigen Teil-
nehmer grinsten. Ich glaube jedoch, dass
diese junge Dame, oder muss ich sagen
Frau (oder ist auch das ganz falsch?),
aufgrund der durch mich verursachten
Blockaden in meinem Seminar wirklich
nicht viel gelernt haben wird. Ja: Ich bin
schuld! Seitdem arbeite ich verstärkt an
meinem Frauenbild. Mit therapeutischer
Unterstützung!
Wie den Extremisten behandeln?
Finden Sie für sich die Grenze zwischen
Zivilcourage und Toleranz. Ich kenne
mich selbst, wie ich anspringe auf jede
Form von dümmlicher Ausländerdiskri-
minierung und Fremdenhasserei. Aber
man kann auch irren. Einmal spielte ich
in einer Seminarpause südamerikanische
Salsamusik. Eine Teilnehmerin empörte
sich: „Wir sind hier in Deutschland!“
Was für ein Satz! Ich war sprachlos. Ich
rang mich zu einem „Was hörst du selbst
gerne?“ durch.
Meine Aussichten, dieser Frau ein wenig
mehr Weltoffenheit oder gar Musikge-
schmack beizubringen, schätzte ich nach
einem kurzen Überschlagen auf nahe null
ein. Interessanterweise stellte sich am
Abend heraus, dass eben diese Frau recht
gern nach Italien verreist und einem ge-
wissen Ramazotti sowohl in Gesangs- als
auch Getränkeform nicht abgeneigt war.
Ich legte dann am kommenden Tag Eros
Ramazotti auf, glitt über zu Julio Iglesias.
Von Spanien aus war es dann nur noch
ein kleiner Sprung über den Atlantik zu
Caetano Veloso nach Südamerika. Und
ich freute mich über meinen kleinen
missionarischen Erfolg, als sie nach dem
Interpreten fragte. Das ist zwar zugege-
benermaßen nicht sonderlich couragiert,
doch es ist immerhin ein erster, kleiner
Schritt.
Ich-Botschaft und Appell sind oft wich-
tige Interventionen. „Sei nicht böse, aber
deine radikalen Äußerungen über Blon-
dinen fangen an, mich zu stören.“ Und:
„Sei so gut und halte deine politischen
Ansichten bis heute Abend etwas zurück.
Ich stelle mich deiner Überzeugung gerne
heute Abend beim Bier, heute tagsüber
könntest du mir dabei helfen, dass die
Teilnehmer und ich uns auf das Thema
konzentrieren können.“ Meistens jedoch
ist es die Stärke der Gruppe oder die Cou-
rage Einzelner, die den störenden Funda-
mentalisten in die Grenzen weist. Ten-
denziell brauchen Sie immer zuerst das
Vertrauen des Fundamentalisten, bevor
Sie anfangen, ihn zu bewegen. Suchen
Sie nach anerkennenswürdigen Teilas-
pekten seiner Persönlichkeit. Und wissen
Sie um Ihre roten Knöpfe! Ihre Bewertung
der auftretenden Verhaltensmuster erwei-
tert oder verringert Ihren persönlichen
Handlungsspielraum.
Sagen Sie wertschätzend, was Sie in
Ihrem Seminar akzeptieren, und lä-
chelnd, was Sie nicht akzeptieren. Aber
werden Sie in Ihrer Gegenreaktion nicht
selbst zum Taliban. Ihr Auftrag ist an ein
Lernziel gekoppelt. Nicht an die Missio-
nierung der Welt.
6 Der Tuschler.
Dieser Teilnehmer tritt mindestens zwei-
fach auf. Es gibt Teilnehmer, die ständig
Seitengespräche führen. Meist haben sie
einen guten Freund, eine gute Freundin
im Seminar neben sich. Mit diesem kön-
nen sie dann fortwährend offen oder unter
vorgehaltener Hand tuscheln. Manchmal
sind es nur übermäßig viele Seitenblicke.
Wenn Sie dann fragen, worum es geht,
kommt meistens ein kicherndes „Nichts!
Hihihi!“. Noch netter finde ich die Ant-
wort: „Machen Sie ruhig weiter!“. Tusch-
ler haben viele Gedanken und daher
genaugenommen auch viel beizutragen.
Sie sind auf jeden Fall sehr aktiv. Sie und
die übrigen Teilnehmer können zu dem
Eindruck gelangen, der Tuschler und sein
Tuschelpartner interessieren sich nicht für
das Thema oder – schlimmer – sprechen
abfällig über irgendjemanden. Warum
sonst darf niemand hören, was gesagt
wird?
Wie den Tuschler behandeln?
Oft reicht das Verkürzen der körperlichen
Distanz. Treten Sie ein bisschen näher an
die beiden Tuschler heran. Sehen Sie sie
dabei jedoch nicht an. Die Verkürzung
kann wie zufällig wirken. Wenn auch das
nicht wirkt, nicken Sie einem der beiden
kurz zu, damit dieser gewahr wird, dass
Sie das Tuscheln bemerken. Wenn die
Seitengespräche zwischen zwei Teilneh-