Seite 22 - wirtschaft_und_weiterbildung_10_2011

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22
wirtschaft + weiterbildung
10_2011
„Verbraucher diktieren Handel mehr als
früher ihre Bedingungen“, lautete am
17. September eine der Überschriften in
der Tageszeitung „Die Welt“. Etwas wei-
ter konnte man einen Rückblick auf die
letzte Krise lesen. „Schnelle Reaktionsfä-
higkeit war Trumpf“ stand da. Das sind
nur zwei kleine Schlaglichter, welche
Herausforderungen das moderne Wirt-
schaftsleben auszeichnet. Insbesondere
die weltweite Vernetzung führt schon seit
einiger Zeit zu einer härteren Konkurrenz
zwischen den Unternehmen, die inten-
siv nach neuen Organisationsstrukturen
und neuen Führungsstilen suchen, um
schneller und marktnäher handeln zu
können. Für Daniel F. Pinnow, Geschäfts-
führer der Akademie für Führungskräfte
der Wirtschaft, gehört beides zusammen:
neue Organisationsstrukturen und ein
Führungsstil, der diese Strukturen zur
Höchstform auflaufen lässt. In seinem ge-
rade erschienenen Buch „Unternehmens-
organisation der Zukunft. Erfolgreich
durch systemische Führung“ plädiert er
für dezentrale, netzwerkartige Organisati-
onsformen und die Umsetzung des syste-
mischen Führungsstils.
Die Unternehmenswirklichkeit ist viel zu
komplex geworden, um mit Anordnung
A und Prozessschritt B unweigerlich Ziel
C zu erreichen. Immer mehr Führungs-
kräfte erleben das, was Soziologen den
„Abschied von der Steuerungsillusion“
nennen: Sie können nicht mehr erwar-
ten, dass das, was sie entschieden haben,
auch tatsächlich umgesetzt wird. Da hel-
fen weder detaillierte Anweisungen noch
ausgefeilte Kontrollen. Die theoretischen
Erklärungen dafür stammen unter ande-
rem von dem Biologen Humberto Ma-
turana, für den jede Organisation sich
in erster Linie um sich selbst dreht und
„nur“ das langfriste Überleben zum Ziel
hat. Lebende Systeme erschaffen sich
nach den Gesetzen der Selbstorganisation
selbst und schotten sich von ihrer Umwelt
ab, damit die einmal etablierten internen
Prozesse ungestört weiterlaufen können.
Solche „autopoietischen“ Systeme sind
definiert als selbstbezüglich operierende
Systeme. Deren Verhalten wird ganz zen-
tral von der inneren Verfassung bestimmt
und nicht von äußeren Ereignissen. Ein
zusätzlicher Großauftrag, den ein Unter-
nehmen erhält, kann die Belegschaft zu-
sammenschweißen und über sich hinaus
wachsen lassen. Ein Großauftrag im Jahr
darauf kann dazu führen, dass Mitarbei-
ter in Scharen flüchten und kündigen.
Führen ist eher ein Verführen
Zwischen einem Ereignis, das von außen
kommt, und dem Verhalten der Orga-
nisation gibt es keine geradlinige Ursa-
che-Wirkungs-Beziehung. Die internen
Prozesse, die das Verhalten bestimmen,
ändern sich im Zeitablauf und sind für
einen Beobachter nicht durchschaubar.
Das Wissen um die Tendenz biologischer
wie sozialer Systeme, sich von ihrer Au-
ßenwelt abzuschotten, macht es für Füh-
rungskräfte einfacher, sich damit abzufin-
den, dass sie ihre Abteilung, ihren Bereich
oder ihr Unternehmen nicht geradlinig
wie eine „triviale Maschine“ steuern kön-
nen, bei der ein Input zu einem vorher-
sehbaren, berechenbaren Output führt.
Dass Manager im Sinne geradliniger
Kausalität nicht führen können, macht
sie nicht überflüssig. Eine Organisation
braucht Führung. Wenn es keine Führung
gäbe, würde sie – aufgrund ihrer Tendenz
zur Isolation – nichts lieber tun, als die
eingespielten Routinen der Vergangen-
heit fortzusetzen und sich nur noch um
sich selbst zu kümmern. Führung hat die
Aufgabe, das Vermeidungsverhalten einer
Organisation zu beobachten und dann
durch Anregungen und Impulse die Or-
ganisation unter Spannung zu setzen. In
der Regel gibt die Führung eine Strategie
vor und setzt wesentliche Ziele fest. Aus
der Differenz zwischen „Soll“ und „Ist“
entsteht dann Spannung und Wachstum
– aber nur, wenn die Soll-Ist-Differenz so
an die Organisation andockt, dass sie von
ihr auch angenommen und weiterverar-
beitet wird.
Der systemische Ansatz bringt also einen
radikalen Bruch mit dem klassischen Top-
Down-Ansatz mit sich, bei dem Anwei-
sungen von der Chefetage nach unten
verkündet werden, um dann früher oder
später zu versanden. Wie aber können
Führungskräfte „Impulse“ geben, die
dann auch von einer Organisation in der
gewünschten Weise verarbeitet werden
(siehe auch rechter Kasten). Das Zauber-
wort heißt „Kommunikation“. Pinnow
weist darauf hin, dass sich im Sinne des
Soziologen Niklas Luhmann Systeme
über ihre Kommunikationsprozesse de-
finieren lassen. So wird Kommunikation
zum Dreh- und Angelpunkt jedes Füh-
rungsverhaltens. Andere Interventions-
möglichkeiten stehen aus systemischer
Sicht nicht zur Verfügung. „Im Grunde
ist jede Form der Kommunikation einer
Führungskraft ein Impuls in ihr System:
der Small-Talk mit dem Mitarbeiter vor
dem Fahrstuhl über den Verlauf eines Pro-
jektes, die Kamin-Abende, die einen Rah-
men zum informellen Austausch schaffen
oder neue Feedback-Regeln“, erklärt Pin-
now. „Aber auch ein einziger prägnanter
Satz wie „Yes, we can“ war ein Impuls,
der ein Millionen-System nachhaltig ver-
04.
Ein gutes Klima für die
Auseinandersetzung mit
Konflikten schaffen.
05.
Zusammenarbeit und Leis-
tung im Team reflektieren,
Feedback geben und nehmen.
06.
Auswirkungen von Entschei-
dungen auf andere erkennen,
Betroffene einbeziehen.
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