Seite 18 - wirtschaft_und_weiterbildung_2011_04

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wirtschaft + weiterbildung
04_2011
fen, dass sie ihre Zukunft als hoffnungs-
los ansähen. Die Deutschen seien Gefan-
gene ihrer Vergangenheit. Dazu komme
ihre Prägung durch Darwin, Freud und
Marx, vor allem durch die Psychoanalyse
– Seligmans Lieblingsfeind. Dabei gibt es
laut Seligman nicht die geringste Evidenz
dafür, dass die Vergangenheit die Zukunft
bestimmt.
Es sind Sätze, wie diese, die Seligmans
Kritiker auf die Palme bringen. Schließ-
lich sei es schlichtweg Unsinn, dass wir
uns völlig unabhängig von unserer Ver-
gangenheit machen könnten. Das zeige
schon allein die Hirnforschung. Made-
leine Leitner, Karriereberaterin aus Mün-
chen, war einfach nur enttäuscht von Se-
ligmans Vortrag in Berlin. „Der zog seine
Positiv-Denken-Show durch und präsen-
tierte alte Kamellen“, sagt die Diplom-
Psychologin. Abgeschreckt habe sie aber
auch sein selbstherrliches Auftreten.
„Smile or Die“
Das beschreibt auch Barbara Ehrenreich
in ihrem Buch „Smile or Die“, in dem die
bekannte US-Wissenschaftsjournalistin
eine Analyse über die Herkunft und Ver-
breitung des „Positiven Denkens“ in den
USA liefert. Mitte des 20. Jahrhunderts sei
das „Positive Denken“ quasi zur Pflicht
für alle erwachsenen Amerikaner gewor-
den, schreibt Ehrenreich. In den Händen
der Arbeitgeber habe sich das „Positive
Denken“ zu einem Mittel der sozialen
Kontrolle entwickelt, zum Ansporn,
immer höhere Leistungen zu erbringen.
Die Schuld an Missständen wurde dabei
immer auf dem Einzelnen abgeladen,
der natürlich nicht positiv genug durchs
Leben ging.
Anfangs seien vor allem Verkäufer und
Außendienstmitarbeiter die bevorzugte
Zielgruppe gewesen, inzwischen sei
Massenmotivation auch ins Herz der US-
Wirtschaft vorgedrungen. Heute bräuch-
ten auch Angestellte, IT-Arbeiter und Be-
triebswirte „Positives Denken“. In vielen
US-Unternehmen sei der Chef von einem
eher nüchtern denkenden Manager zu
einem schillernden und charismatischen
Führer geworden, der auf seine Intuition
höre und wie ein Motivationstrainer auf-
trete. Manche Unternehmen hätten dabei
sogar religiöse Züge angenommen und
seien eine Organisation mit bedingungs-
loser Unterordnung unter eine scheinbar
göttlich inspirierte Führungspersönlich-
keit geworden. Als besonders praktisch
habe sich das „Positive Denken“ bei den
zahlreichen Kündigungswellen erwiesen.
Schließlich lasse sich damit selbst ein
Rausschmiss als Geschenk des Schicksals
und früher oder später auch als Eintritts-
karte in ein besseres Leben verkaufen.
Und wer es nicht schaffe, einen neuen
Job zu bekommen, der strenge sich eben
wie schon erwähnt nicht genug an, posi-
tiv zu denken.
In wissenschaftlichen Kreisen konnte das
„Positive Denken“ erst Fuß fassen, als
Martin Seligman 1997 zum Präsidenten
der American Psychological Association
(APA) gewählt wurde und die „Positive
Psychologie“ zu „dem“ Thema seiner
Amtszeit machte. Die Wissenschaft vom
Glück schlug in den Medien ein wie eine
Bombe. Für alle nicht akademischen Mo-
tivationstrainer war das natürlich wie ein
Geschenk des Himmels, denn endlich
konnten sie sich auf „wissenschaftliche
Studien“ berufen. Zwar distanzierten
sich die Psychologen zunächst von der
populären Version des Positivdenkens,
doch nach und nach begaben sie sich mit
ihren Büchern auf den Massenmarkt der
platten Ratgeber. Seligman hatte es ihnen
mit seinem auch in Deutschland weitver-
breiteten Bestseller „Der Glücks-Faktor.
Warum Optimisten länger leben“ vorge-
macht.
Kritiker wie Barbara Ehrenreich sind
davon überzeugt, dass die zwanghafte
„Positiver-Denken“-Ideologie der ameri-
kanischen Wirtschaft enormen Schaden
zugefügt habe. Selbst die Finanzkrise füh-
ren sie darauf zurück. „Man gab sich der
Massenillusion hin, dass die Häuserpreise
niemals sinken, dass wir Amerikaner
immer reicher und reicher werden, dass
alles immer gut geht“, sagte Ehrenreich
in einem Interview mit der „Financial
Times Deutschland“ (FTD). „Wer ande-
rer Meinung war, hat sich leider gehütet,
sie auszusprechen, weil er sonst gefeuert
wurde.“
„Nehmen Sie Mike Gelband, den Ex-
Immobilienchef bei Lehmann Brothers“,
nennt Ehrenreich ein Beispiel. Der er-
klärte im Jahr 2006 nach ihren Recher-
chen, dass er den Immobilienboom für
eine gigantische Blase halte. „Lehmann-
Chef Richard Fuld schmiss ihn einfach
raus“, so Ehrenreich. Für skandalös hält
die streitbare Journalistin, dass das US-
Verteidigungsministerium Martin Selig-
man für 31 Millionen Dollar den Auftrag
gegeben habe, den US-Streitkräften das
„Positive Denken“ beizubringen.
Was bringt der Stärken-Test
der „Positiven Psychologie“?
Willibald Ruch, Professor am Psycholo-
gischen Institut der Universität Zürich,
sieht das Ganze nicht so negativ. Selig-
mans Verdienst sei es einfach, den Fokus
der Psychologie auf die positiven Aspekte
04.
... einen positiven
Einfluß des
optimistischen Denkens auf
das Immunsystem.
05.
... das regelmäßige Erleben
von Flow-Gefühlen bei der
Arbeit.
06.
...
eine Steigerung der
Leistungsbereitschaft und
des Erfolgs durch eine
Vision.
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