Personalmagazin plus 6/2023

Künstliche Intelligenz 13 Und wie sieht es mit Hausarbeiten oder der Bearbeitung von Case Studies aus? Da wären wir bei der dritten Art der Prüfung. Bei Hausarbeiten und Case Preperations geht es nicht nur darum, Wissen abzufragen. Wir schaffen damit Möglichkeiten und Gründe, dass sich Studierende mit demMaterial auseinandersetzen. Hierbei kann ChatGPT durchaus für neue und kreativere Formen der Auseinandersetzung sorgen. Hat die klassische Case Study also ausgedient? Es braucht neue Formen von Case Studies, die immersiver sind. Ich könnte ChatGPT zum Beispiel sagen, dass es in die Rolle eines Einkaufsvorstands von BMW schlüpfen soll und sich mit einem Studenten über den Einkauf in Zeiten von Corona oder dem Krieg in der Ukraine unterhalten soll. Da kann man jetzt viel realistischere Situationen bauen, in denen man sich wirklich so fühlt, als wäre man in einer bestimmten Managementsituation. Bei solchen Hausaufgaben sollten wir ChatGPT nutzen, um Studierende noch besser auf das Arbeitsleben vorzubereiten. Dafür ist es ein tolles Werkzeug. Bei Konversationen in Bing, wo ChatGPT inzwischen auch integriert ist, hat sich das System aber teils geistig schwer verirrt und im Ton vergriffen. Könnte das bei solchen immersiven Case Studies nicht auch passieren? Man redet da von Halluzinationen, wenn ChatGPT solche fatalen Fehler macht. Aber wie heißt es so schön: Wenn man auf der Bühne steht, sollte man sich nicht auf Kinder, Tiere und Computer verlassen. Und eben auch nicht auf intelligente Systeme. Uns ist ja auch klar, dass wir nicht alles, was in der FAZ oder im Spiegel steht, für bare Münze nehmen können. Wir sollten als Menschen immer noch kritisch denken können. Managerinnen und Manager müssen sich eine gewisse Grundskepsis erarbeiten. Wenn sie etwa einen Berater von McKinsey, Boston Consulting oder Deloitte beauftragen möchten, müssen sie schließlich beurteilen können: Passt das so Pi mal Daumen, was die einem vorrechnen? Stimmt die Größenordnung? Ergibt der Ansatz überhaupt Sinn? Das kann man mit ChatGPT wunderbar üben. Sie haben ChatGPT auch die Aufgabe gegeben, selbst Prüfungsfragen zu produzieren. Was ist denn dabei herausgekommen – sind Sie als Professor künftig ersetzbar? Vermutlich schon. Aber ernsthaft: Ich finde, das ist die spannendste Anwendung von ChatGPT – neben der Möglichkeit einfach ein Entschuldigungsschreiben oder einen Standardtext aufzusetzen. Und zwar aus folgendem Grund: Bei Aufgaben wie der Bearbeitung von Kreditanträgen oder der Strukturberechnung von Brücken brauche ich eine hohe Zuverlässigkeit. Da ist selbst ein Fehler in zehn Fällen zu riskant. Bei kreativen Prozessen hingegen kann ich locker 90 Prozent Fehlerwahrscheinlichkeit tolerieren. Wenn ich unter zehn Ideen eine richtig gute habe, dann ist schon viel gewonnen. Und ChatGPT kann mir helfen, viele verschiedene Ideen zu generieren. Ich spiele selbst gerade mit den Aufgaben für ChatGPT, den sogenannten Prompts. Zum Beispiel kann man sagen: Stell Dir vor, Du wärst ein Sechsjähriger, ein Wesen vom Mars oder Steve Jobs – wie würdest Du dieses Problem lösen? Oder wie hättest Du diese Frage vor 300 Jahren beantwortet? So kann man in unbekannte Sphären eintauchen. Dabei geht es nicht darum, eine Aufgabe zu automatisieren, sondern die menschliche Entscheidungsfähigkeit zu stimulieren, anders über Probleme nachzudenken und sich selbst zu hinterfragen. Und das nutzen Sie, um Prüfungsfragen zu generieren? Wenn ich eine Aufgabe generiere, dann sollte die schon zum Großteil korrekt sein. Da möchte ich nicht, dass das Ding halluziniert und rumspinnt. Dann müsste ich ja sehr viele Vorschläge durchgehen – die Zeitersparnis wäre gering. Aber wenn ich über ein neues Forschungsprojekt nachdenke, dann hätte ich gerne maximale Varianz. Da kann man mit so einem System spannende Forschungsfragen generieren. Inwiefern setzen Sie also ChatGPT konkret in Ihren Klassen ein? Vor allem in Kursen zu Produktentwicklung und Innovation – also, wenn es um Prozesse der Ideengenerierung geht. Studierende sollen mit fünf oder zehn Ideen reingehen und dann über ChatGPT noch weitere finden. Denn Varianz zu generieren, fällt uns Menschen sehr schwer. In jedem Brainstorming hört man die Standardweisheit: „No idea is a bad idea.“ Verbunden mit der Aufforderung: „Go crazy and go wild!“ Aber wir sind in unserem Vorstellungsvermögen sehr begrenzt. Da hat uns ChatGPT etwas voraus. Durch denMedienhype umChatGPT ist hängen geblieben: Das System kann MBA-Prüfungen bestehen. Inwiefern ist das ein Imageproblem für teure MBA-Programme, die schon während der Coronapandemie wegen einer Verlagerung der Kurse ins Netz in der Kritik standen? Diese Entwicklungen werden einen existierenden Trend verschärfen: die Nachfrage nach hoher Qualität, Reputation und Exzellenz. Der Mensch lebt durch Narrative. Die Leute wollen sagen können, sie haben einen MBA von Wharton oder Harvard. Das schafft den Wunsch, dazuzugehören, den Business Schools in der zweiten Reihe so nicht erfüllen können. Daran ändert auch der Technologiedruck wenig. Meine Vorlesungen sind schon seit etwa zehn Jahren komplett auf Coursera erhältlich. Aber das hat Wharton nicht geschadet, im Gegenteil. Denn so können wir noch besser zeigen, was wir machen – in Forschung und Lehre. Zudem liefern wir den Studierenden ein Erlebnis und die Möglichkeit, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Einer Gemeinschaft, die zusammen die Welt verändern wird. STEFANIE HORNUNG ist freie Journalistin und durchaus experimentierfreudig. Ob sie ChatGPT für die eigene Arbeit einsetzen würde? Als Inspirationstool ja, für Recherche und Texterstellung nicht.

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