Personalmagazin plus 6/2023

MBA personalmagazin plus: MBA 2023 12 lässlichen Partner. Aber dennoch ist es faszinierend, was wir dem System alles zuschreiben. Ich habe mich selbst schon dabei ertappt, dass ich dem Bot eine Intelligenz zugesprochen habe, die objektiv nicht vorhanden ist. Einfach weil die Sprache so menschlich wirkt. Das hat auch damit zu tun, dass ChatGPT auf Hinweise reagiert und neue Lösungen präsentieren kann … Ja, da war ich baff. Ich hatte eine etwas schwierigere Aufgabe gestellt und nach dem Engpass in der Produktion einer großen Cranberry-Genossenschaft gefragt. Die Fabrik hatte eine Besonderheit: den Produktmix. Sie verarbeitete trockene und nass hergestellte Cranberrys. Da muss man die Kapazitäten unterschiedlich berechnen. Das hat ChatGPT zunächst komplett ignoriert. Dann habe ich einen Hinweis gegeben, wie man das manchmal in mündlichen Prüfungen tut, wenn die Studierenden auf dem Schlauch stehen: „Schau mal, hier gibt es einen Produktmix.“ Und plötzlich erklärt mir ChatGPT, wie wichtig der Produktmix bei solchen Aufgaben ist. Es ist beeindruckend, wie es einen solchen Wink mit dem Zaunpfahl verarbeiten kann. Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus: Ist den Studierenden die Nutzung von ChatGPT in Prüfungen erlaubt? Nein, erst einmal nicht. Wir müssen als Lehrende zunächst andere Fragen beantworten: Warum prüfen wir? Was ist der Sinn einer Prüfung oder einer Hausaufgabe? Bislang sind MBAPrüfungen eine Form der Zertifizierung. Sie bescheinigen, was eine Person kann – also zum Beispiel Rechnungswesen. Dabei müssen wir ChatGPT oder andere intelligente Systeme verbannen. Denn das wäre geschummelt. So, wie wenn ein Freund die Prüfungsaufgabe für mich löst. Dann ist das Zertifikat nicht mehr aussagekräftig. Aber ergibt es überhaupt noch Sinn, dass angehende Managerinnen undManager solches Wissen lernen und bescheinigt bekommen, wenn das in der Praxis ein intelligentes System übernehmen kann? Also mit dieser Argumentation könnten wir ja sagen, dass wir sowieso alle Aufgaben im Team lösen. Dann brauchen wir Skills gar nicht mehr zu zertifizieren, weil das wird ja schon jemand anderes im Team können. Aber ich muss mich doch darauf verlassen können, dass eine Person diese Kompetenz selbst besitzt. Und da sind wir beim zweiten Grund, warum wir heute in den Business Schools prüfen: um zu wissen, wo die Studierenden stehen. Dazu nutze ich häufig das sogenannte „Cold Calling“. Ich rufe einen Studenten oder eine Studentin spontan auf und frage: „Wie würden Sie an dieses Problem oder diese Aufgabe herangehen?“ Für diese Art von Prüfung ist ChatGPT auch keine Hilfe. Ich möchte ja herausfinden, wie viel die Studierenden vom Lehrstoff verstanden haben. Wenn sie ein intelligentes System nutzen, könnte ich ihren Wissensstand überschätzen und Inhalte für die zehnte statt für die dritte Semesterwoche behandeln. Dann reden wir aneinander vorbei und die Studierenden können nicht mehr folgen. „Wenn man auf der Bühne steht, sollte man sich nicht auf Kinder, Tiere und Computer verlassen. Und eben auch nicht auf intelligente Systeme.“

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==