PERSONALMAGAZIN_07/2016 - page 24

24
TITEL
_AGILITÄT
personalmagazin 07/16
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
Organisationen implementiert. In Euro-
pa neigen wir dazu, beide Welten strikt
voneinander zu trennen. Wir gründen
Inkubatoren oder Spezialeinheiten, die
weit weg vom Standardgeschäft operie-
ren und sich mit Innovation oder strate-
gischem Wandel beschäftigen. So wur-
den Generationen von Managern eben
instruiert. Nicht nur in Europa, das gilt
weltweit. Aber das wird sich ändern.
Denn hier entscheidet sich, wer die He-
rausforderungen meistern wird und wer
nicht.
personalmagazin:
Sind Sie sicher, dass Ihr
„duales Betriebssystem“ hält, was es
verspricht?
Kotter:
Wir haben meine Überlegungen
in unserer Beratungsgesellschaft Kot-
ter International in mehreren Projekten
getestet. Außerdem stütze ich mich auf
jede Menge Forschung. Die Bilanz der
getrennten Welten ist ernüchternd. Es
mag ein paar wenige geben, die damit
gut fahren. Die Mehrheit tut es nicht.
Mit ist das vor 30 Jahren bei Xerox auf-
gefallen, wenngleich ich damals die gan-
ze Tragweite noch nicht erfasst habe.
personalmagazin:
Xerox galt als eines der
innovativsten Unternehmen seiner Zeit!
Kotter:
Zu Recht! Die hatten eine neue
Generation von Kopiergeräten erfunden
und wuchsen damit stark. Wann immer
sie aber versuchten, dem weitere Inno-
vationen folgen zu lassen, sind sie ge-
scheitert. Die Manager folgerten daraus,
es fehlten eben ausreichend innovative
und kreative Kapazitäten im Unterneh-
men. Deshalb haben sie eine eigene
„Ein völlig neues Spiel“
INTERVIEW.
Wie können Unternehmen agiler werden? Change-Guru John Kotter will
dazu über die klassische Organisation ein „zweites Betriebssystem“ legen.
personalmagazin:
Dr. Kotter, weltweit
betreiben wir Change Management nach
den Regeln, die Sie in „Leading Change“
definiert haben. Jetzt haben Sie in Ihrem
Buch „Accelerate“ diesen Ansatz weiter-
entwickelt. Warum?
John Kotter:
In „Leading Change“ ging es
um groß angelegte Change-Projekte. Die
wurden damals schlecht gemanagt – und
ich hoffe, dass auch heute noch meine
Ideen helfen, solche Mammutprojekte
erfolgreicher zu gestalten. In den letzten
Jahren hat die Zahl strategischer Pro-
jekte allerdings drastisch zugenommen.
Change ist ein Dauerzustand. Da trägt der
Ansatz nicht mehr. Zum einen genügt es
nicht, die einschlägigen Instrumente alle
zwei Jahre aus dem Werkzeugkasten zu
holen und nach Abschluss des Projekts
wieder zurückzulegen. Zum anderen ste-
hen unsere Organisationsstrukturen dem
Wandel entgegen. Die sind nicht dafür
gemacht, schnelles und agiles Handeln
zu ermöglichen. Change ist wirklich ein
völlig neues Spiel geworden.
personalmagazin:
Was ist falsch an unseren
Unternehmensstrukturen?
Kotter:
Herkömmliche Unternehmen set-
zen auf Hierarchien, operieren in Silos,
arbeiten mit Leitlinien, definierten Rol-
len und Prozessen sowie ausgefeilten
Planungssystemen. Sie gewährleisten,
was etablierte Unternehmen sicher-
stellen müssen: effizient und stabil ein
Standardgeschäft durchzusteuern. Das
ist eine große Herausforderung, die gar
nicht hoch genug zu bewerten ist. Aber
solche Organisationen tun sich schwer
damit, strategische Chancen und Ri-
siken schnell zu erkennen und darauf
zu reagieren. Wenn Sie wissen wollen,
wie man intelligente, innovative Ent-
scheidungen unbürokratisch trifft und
schnell umsetzt, müssen Sie sich erfolg-
reiche Start-ups anschauen. Die haben
nichts außer ihrer Agilität. Und die ver-
danken sie ihren Netzwerkstrukturen.
personalmagazin:
Das heißt, aus etablierten
Unternehmen sollen Start-ups werden?
Kotter:
Nicht ganz. Wir brauchen beides
in Organisationen: Stabilität und Agi-
lität, Hierarchien und Netzwerke. Wir
brauchen das, was ich ein „duales Be-
triebssystem“ für Unternehmen nenne.
In „Accelerate“ erkläre ich, wie man
ein solches duales Betriebssystem in
DR. JOHN KOTTER
ist Professor an der
Harvard Business School und gilt als Vorden-
ker im Change Management.
1...,14,15,16,17,18,19,20,21,22,23 25,26,27,28,29,30,31,32,33,34,...92
Powered by FlippingBook