personalmagazin 11 / 12
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Titel
_menschen mit behinderung
Bei Fragen wenden Sie sich bit te an
konnte. Der Arbeitgeber argumentierte,
dass die Einrichtung eines behinderten-
gerechten Arbeitsplatzes (dem Arbeit-
nehmer war ein Oberschenkel amputiert
worden) in einem solchen Fall generell
unverhältnismäßig sei. Das BAG lehnte
diese Begründung ab, da der Arbeitgeber
auch in derartigen Fällen verpflichtet ge-
wesen sei, umfassend zu prüfen, ob und
mit welchen Maßnahmen dieser Arbeits-
platz zumindest theoretisch hätte aufge-
rüstet werden können. Aufgrund dieses
Versäumnisses wurde dem schwerbe-
hinderten Arbeitnehmer ein Anspruch
auf Schadensersatz zugebilligt.
Wussten Sie,
dass unter einer be-
hindertengerechten Gestaltung von Ar-
beitsplatz und Arbeitsumgebung nicht
nur die Einrichtung im technischen
Sinne gehören kann, sondern auch die
Verpflichtung, den Arbeitsablauf behin-
dertengerecht zu organisieren? Unter
Umständen kann der Arbeitgeber daher
verpflichtet sein, für den schwerbehin-
derten Arbeitnehmer eine auf ihn zuge-
schnittene Arbeitszeit zu organisieren
oder auch, ihn von der Pflicht zur Nacht-
arbeit auszunehmen.
Schwerbehinderte Arbeitnehmer
in Teilzeit (§ 81 Abs. 5 SGB IX)
Neben dem allgemeinen Teilzeitan-
spruch für alle Arbeitnehmer, der sich
aus § 8 Teilzeit- und Befristungsgesetz
(TzBfG) ergibt, hat ein schwerbehinder-
ter Arbeitnehmer nach § 81 Abs. 5 SGB
IX ausdrücklich einen durchsetzbaren
Rechtsanspruch auf Teilzeitbeschäfti-
gung, wenn die kürzere Arbeitszeit we-
gen Art oder Schwere der Behinderung
notwendig ist. Während beim allgemei-
nen Teilzeitwunsch der Arbeitnehmer
einen Antrag stellen muss, über den
dann der Arbeitgeber in bestimmten ge-
setzlich beschriebenen Fristen entschei-
den muss, werden Teilzeitwünsche nach
§ 81 Abs. 5 SGB IX nicht „beantragt“,
sondern „gewählt“.
Wussten Sie,
dass der besondere An-
spruch auf Teilzeitbeschäftigung, sofern
die Voraussetzungen des § 81 Abs. 5
SGB IX vorliegen, unmittelbar eine Ver-
kürzung der Arbeitszeit bewirken, ohne
dass es einer Zustimmung des Arbeitge-
bers bedarf?
Schadensersatz wegen
Annahmeverzug (§ 615 BGB)
Annahmeverzug im Arbeitsrecht liegt
dann vor, wenn der Arbeitnehmer seine
Arbeitsleistung erbringen will, der Arbeit-
geber den Arbeitnehmer jedoch gleich-
wohl nicht beschäftigt. In diesen Fällen ist
der Arbeitgeber verpflichtet, gleichwohl
Lohn zu zahlen. Bei der Beschäftigung von
schwerbehinderten Menschen besteht ein
gesteigertes Risiko, in Annahmeverzug zu
geraten, wenn der Arbeitgeber gegen sei-
ne Verpflichtung zur Einrichtung eines
leidensgerechten Arbeitsplatzes verstößt,
weil dieses Versäumnis den schwerbe
hinderten Mitarbeiter berechtigt, die Tä-
tigkeit zu verweigern.
Wussten Sie,
dass auch bei schwerbe-
hindertenMenscheneinAnnahmeverzug
durch das Angebot einer „Ersatztätig-
keit“ verhindert werden kann? Dazu hat
das BAG mit Urteil vom 19.5.2010, 5 AZR
162/09 entschieden: „Kann der Arbeit-
nehmer, dessen Tätigkeit im Arbeits-
vertrag nur rahmenmäßig umschrieben
ist, die vom Arbeitgeber aufgrund sei-
nes Direktionsrechts ... wirksam näher
bestimmte Tätigkeit aus in seiner Per-
son liegenden Gründen nicht mehr aus
üben, aber eine andere, im Rahmen der
arbeitsvertraglichen Vereinbarung lie-
gende Tätigkeit verrichten, ist das Ange-
bot einer ‚leidensgerechten Arbeit‘ ohne
Belang, solange der Arbeitgeber nicht
durch eine Neuausübung seines Direk-
tionsrechts diese zu der im Sinne von
§ 294 BGB zu bewirkenden Arbeitsleis
tung bestimmt hat.“
Diskriminierung (§ 15 AGG)
Fehler, die aus Unkenntnis über zwin-
gende Vorschriften des Schwerbehin-
dertenrechts gemacht werden, können
unter Umständen Schadensersatzan-
sprüche nach dem AGG wegen einer Dis-
kriminierung auslösen. Dies auch schon
vor der Einstellung im Bewerbungsver-
fahren. Hier müssen sich die Gerichte
zunehmend mit Klagen befassen, bei
denen Bewerber darauf verweisen, dass
sie bei ihren Bewerbungsunterlagen ei-
ne Schwerbehinderteneigenschaft nicht
nur nicht verschwiegen, sondern diese
sogar ausdrücklich erwähnt haben. Die
Nichteinladung eines solchen Bewer-
bers zu einem Gespräch wird dann re-
gelmäßig zum Anlass genommen, auf
eine angebliche Diskriminierung hinzu-
weisen und einen entsprechenden Scha-
densersatzanspruch geltend zu machen.
Wussten Sie,
dass schwerbehinderten
Klägern bei AGG-Klagen eine im Scha-
densersatzrecht fast einzigartige Beweis
erleichterung zur Seite steht? Nach § 22
AGG muss derjenige, der eine Diskri
minierung vorträgt, diese nicht etwa be-
weisen, sondern nur Indizien vortragen
und beweisen, die eine Benachteiligung
wegen einer Diskriminierung „vermu-
ten lassen“. Mit anderen Worten: Weiß
der Arbeitgeber um die Schwerbehinder-
teneigenschaft eines Bewerbers, muss er
im Streitfall Gründe darlegen und bewei-
sen können, die belegen, dass bei seiner
Auswahl die Frage einer Schwerbehinde-
rung keine Rolle gespielt hat.
Mehrarbeit (§ 124 SGB IX)
Zum Schluss noch ein Beispiel für eine
Vorschrift, die sich etwas abseits im Ka-
pitel 10 des SGB IX unter der Überschrift
„Sonstige Vorschriften“ verbirgt.
Wussten Sie,
dass schwerbehinderte
Menschen jederzeit und ohne Angabe
von Gründen verlangen können, dass sie
„von Mehrarbeit freigestellt werden“?
Checkliste
Welche Fragen – über die zur
Schwerbehinderung hinaus – beim Vorstel
lungsgespräch unzulässig sind (HI547953).
Die Arbeitshilfe finden Sie im Haufe
Personal Office (HPO). Internetzugriff:
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