Seite 18 - personalmagazin_2012_04

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„Seniorenquotebedingtmöglich“
INTERVIEW. Politisch wird eifrig über eine Pflichtquote für Ältere diskutiert.
Über die rechtlichen Konsequenzen sprachen wir mit einem Arbeitsrechtler.
personalmagazin:
Wie könnte eine Senio-
renquote eigentlich gesetzlich veran-
kert werden ?
Martin Henssler:
Meines Erachtens kann
die Forderung nach einer Seniorenquote
nur als Aufforderung zu einer Selbst-
verpflichtung der Wirtschaft, wie sie
in ähnlicher Form schon einmal für die
Verpflichtung zur Schaffung von ausrei-
chenden Ausbildungsplätzen praktiziert
wurde, verstanden werden. In dieser
Form begegnet sie keinen Bedenken.
personalmagazin:
Aber auch freiwillige
Maßnahmen müssen sich am AGG
messen lassen, oder?
Henssler:
Sicherlich, aber nach den Vor-
gaben des AGG sind Vergünstigungen
gegenüber Senioren nicht generell un-
zulässig. Verwiesen sei nur auf die be-
kannten Seniorentickets, bei denen die
Gerichte einen Verstoß gegen § 20 AGG
verneint haben. Aus arbeitsrechtlicher
Sicht sind die vom EuGH für die Zuläs-
sigkeit von Frauenquoten aufgestellten
Kriterien heranzuziehen. Neben der
Voraussetzung gleicher Eignung müsste
eine Seniorenquote nach der Rechtspre-
chung des EuGH auch die Garantie eines
transparenten, nachprüfbaren und an
objektiven Beurteilungskriterien ausge-
richteten Auswahlverfahrens beinhalten.
Zudem darf die besondere persönliche
Situation der einzelnen Bewerber nicht
unberücksichtigt bleiben.
personalmagazin:
Wo aber würden bei ei-
ner Einstellungsentscheidung zuguns-
ten eines älteren Arbeitnehmers diese
Grenzen überschritten ?
Henssler:
Rechtlich bedenklich erscheint
mir eine Seniorenquote dann zu sein,
wenn sie dazu führt, dass bei einer
Einstellung ein leistungsfähigerer und
besser qualifizierter jüngerer Bewerber
nur deshalb abgelehnt wird, weil der
Arbeitgeber, um seine Quote zu erfül-
len, einen älteren Arbeitnehmer ein-
stellen muss. Eine Seniorenquote wäre
nur als leistungsabhängige, flexible
Entscheidungsquote rechtlich zulässig,
die dem Arbeitgeber die Möglichkeit
lässt, die Einstellung aufgrund einer
Gesamtwürdigung vorzunehmen und
sich gegebenenfalls auch gegen den
Älteren zu entscheiden.
personalmagazin:
Welche Maßnahmen
sollten Unternehmen unabhängig von
der Quotenfrage durchführen?
Henssler:
Aufgrund der demografischen
Entwicklung besteht aktuell die wich-
tigste Aufgabe der HR-Abteilungen
darin, Rahmenbedingungen zu schaf-
fen, die auch älteren Arbeitnehmern
die Fortsetzung ihrer Erwerbstätigkeit
ermöglichen. Hierfür bedarf es innova-
tiver Konzepte und völlig neuer Wege
bei der Gestaltung der Arbeitsbedin-
gungen. So steigt nachweislich die Zahl
der krankheitsbedingten Ausfalltage mit
zunehmendem Alter. Aufgabe der Perso-
nalplanung muss es sein, altersgerechte
Arbeitszeitmodelle zu entwickeln, die
eine physische und psychische Überfor-
derung vermeiden. Bei einer Vielzahl
von Tätigkeiten wird eine 40-Stunden-
Woche und die Gewährung gesetzlichen
Regelurlaubs nicht mehr der körper-
lichen Leistungsfähigkeit eines 65-Jäh-
rigen gerecht.
Direktor am Institut für Arbeits-
und Wirtschaftsrecht der Universität
zu Köln
Prof. Dr. Martin Henssler
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LEBENSPHASENORIENTIERUNG
Bei Fragen wenden Sie sich bit te an
personalmagazin 04 / 12
TITEL
„Eine Seniorenquote wäre damit nur als
leistungsabhängige, flexible Entscheidungsquote
im Rahmen einer Gesamtwürdigung zulässig.“
Das Interview führte
Thomas Muschiol.