54 SERVICE_PRAXISBLICK PERSONALquarterly 01 / 23 PERSONALquarterly: Welche wissenschaftliche Leistung in der Menschheitsgeschichte hat Sie besonders beeindruckt? Stephanie Gerwe Harder: Es gibt für mich nicht die eine herausstechende wissenschaftliche Leistung. Ich bin dankbar dafür, dass ich in einer Zeit und an einem Ort lebe, an welchem Wissen verfügbar ist, geteilt wird und weiter wächst. In vielen Aspekten unseres Lebens profitieren wir davon, z. B. bei der Heilung von Krankheiten. PERSONALquarterly: Die Wissenschaft hat zuletzt an Vertrauen eingebüßt. Kann man sich auf deren Erkenntnisse verlassen? Stephanie Gerwe Harder: Ich denke nicht, dass die Wissenschaft im Grundsatz an Vertrauen eingebüßt hat. Schwierig wird es, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse in den Medien breit diskutiert werden und dem Laien schnell klar wird, dass ein eigenes Urteil in der Sache kaum möglich ist. Es stellt sich dann automatisch die Frage, über welche Fachkenntnisse Autoren eigentlich verfügen. Auch fragt man sich, ob es möglicherweise versteckte Interessen gibt. Am Ende sind wir ja alle abhängig von wissenschaftlichen Erkenntnissen und brauchen Vertrauen in die lauteren Absichten der Wissenschaft, um uns selbst ein Urteil zu bilden. PERSONALquarterly: Welche Berührungspunkte haben Sie persönlich mit der Wissenschaft? Stephanie Gerwe Harder: Bei Justizvollzug und Wiedereingliederung sind wir der Wissenschaft verpflichtet. Es geht um wissenschaftliche Begleitung, Qualitätssicherung und Fortentwicklung von Themen rund um den Justizvollzug. So erforscht unsere Abteilung Forschung & Entwicklung bspw. in und mit der JVA Pöschwies das Gefängnisklima. Wir wollen wissen, wie es Gefangenen und Mitarbeitenden im Vollzug geht. Studien haben festgestellt, dass ein gutes Gefängnisklima bei den Inhaftierten zu weniger aggressivem Verhalten, erhöhter Therapiemotivation und niedrigeren Rückfallraten führt. Auch in der HR-Arbeit, insbesondere im Rekrutierungsprozess, arbeiten wir evidenzbasiert. Schon meine Vorgängerin hat diesen Weg eingeschlagen mit der flächendeckenden Einführung von OnlineAssessments. Wir verfolgen dies konsequent weiter. PERSONALquarterly: Gibt es weitere aktuelle Projekte? Stephanie Gerwe Harder: Ja, ich darf bereits „inhouse“ mit einem interdisziplinär zusammengesetzten Expertenteam zusammenarbeiten. Jüngst haben wir außerdem ein Projekt gestartet, um die digitalen Kompetenzen im Amt zu stärken. PERSONALquarterly: Kann die Wissenschaft helfen, das Personalmanagement besser zu machen? Stephanie Gerwe Harder: Wir haben uns bei einer Weiterbildung zur strategischen Personalführung bspw. intensiv mit den Forschungsergebnissen zum Thema Feedback und dessen Wirkung auf die Leistung der Mitarbeitenden auseinandergesetzt. Es ist mir wichtig, dies bei der Weiterentwicklung unserer Mitarbeitergespräche einzubringen. Die Antwort ist eindeutig ja. PERSONALquarterly: Haben Sie ein aktuelles Beispiel, wo Sie auf wissenschaftliche Expertise zurückgreifen? Stephanie Gerwe Harder: Wir entwickeln eines der Hauptberufsbilder unseres Amts, die Fachperson Justizvollzug, weiter. Dazu greifen wir u. a. auf die Forschungsergebnisse zum Gefängnisklima und zum Konzept der dynamischen Sicherheit zurück. Wir haben ein Zielberufsbild entwickelt und uns überlegt, welche Kompetenzen unsere Fachpersonen Justizvollzug brauchen, um den heutigen Anforderungen gerecht zu werden. Es wurde auch ein Konzept für ein Lern- und Entwicklungsangebot erarbeitet, das nun in die Feinkonzeption geht. PERSONALquarterly: Was wünschen Sie sich von der Wissenschaft? Stephanie Gerwe Harder: Mir ist wichtig, dass die Wissenschaft die Praxis mit im Blick hat und mit an die Umsetzung in den operativen HR-Alltag denkt. PQ stellt HR-Verantwortliche vor, die im Austausch mit der Wissenschaft stehen. In dieser Ausgabe: Stephanie Gerwe Harder, Justizvollzug und Wiedereingliederung. Der PERSONALquarterly-Fragebogen Rechtsanwältin lic. iur. STEPHANIE GERWE HARDER ist Leiterin Human Resources im Amt für Justiz und Wiedereingliederung des Kantons Zürich.
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