Personal Quarterly 1/2023

52 SERVICE_FORSCHERPORTRÄT PERSONALquarterly 01 / 23 Krank zur Arbeit gehen – eine gute Idee? Heiko Breitsohl leitet an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt das Institut zu Organisation, Personal und Dienstleistungsmanagement und forscht zu Präsentismus. Dr. Christina Guthier, Wirtschaftspsychologin in Düsseldorf Wir alle kennen es und haben es wahrscheinlich auch schon einmal selbst getan: krank zu arbeiten. Dieses Phänomen wird in der Wissenschaft Präsentismus genannt. „Mich fasziniert Präsentismus als Thema, da es so sehr vielschichtig und komplex ist. Es gibt noch sehr vieles zu erforschen und besser zu verstehen“, sagt Prof. Dr. Heiko Breitsohl. Nach seinem Studium der Betriebswirtschaftslehre sowie Arbeits- und Organisationspsychologie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt untersuchte Heiko Breitsohl während seiner Promotion an der Bergischen Universität in Wuppertal erst einmal, wie Unternehmen auf Krisensituationen reagieren. Mittlerweile lehrt und forscht er in Klagenfurt und verfolgt die Krisenreaktionen von Unternehmen lieber in den Medien. Mit seiner Forschung widmet er sich besonders dem Präsentismus. Aktuell untersucht er bspw., wie sich Arbeit im Homeoffice auf Präsentismus auswirkt: Hängt Präsentismus damit zusammen, ob es klare Vereinbarungen darüber gibt, zu welchen Zeiten im Homeoffice gearbeitet wird und wann man erreichbar sein soll? Und ist Präsentismus mehr bei Beschäftigten verbreitet, die schon über längere Zeit hinweg im Homeoffice arbeiten, oder eher bei denjenigen Beschäftigten, die erst kürzlich während der Pandemie die Arbeit imHomeoffice begonnen haben? In einem weiteren Projekt untersucht er die Fremdwahrnehmung von Präsentismus und Absentismus. Wie interpretieren und bewerten es Kolleginnen und Kollegen oder Führungskräfte, wenn man krank arbeitet? Wird man bspw. als fleißiger oder belastbarer wahrgenommen? Und kann sich dies auf die eigene Karriere auswirken, sodass man mit einer höheren Wahrscheinlichkeit befördert wird? „Aus meiner Sicht ist das Thema Präsentismus im gesellschaftlichen Diskurs noch nicht ausreichend angekommen“, stellt Professor Breitsohl fest. Dies könne daran liegen, dass Präsentismus bislang auch in Unternehmen häufig unkommentiert geduldet werde. Professor Breitsohl beobachtet weiterhin in der Praxis immer wieder folgende implizite Annahme: Anwesenheit am Arbeitsplatz bedeutet Produktivität, Abwesenheit bedeutet keine Produktivität. „Maßnahmen bzw. Sanktionen, um Fehlzeiten von Beschäftigten – in der Forschung Absentismus genannt – zu vermeiden, werden wiederum deutlich häufiger diskutiert und umgesetzt. „Und manchmal begünstigen genau diese Maßnahmen gegen Absentismus, dass Beschäftigte krank zur Arbeit gehen“, meint Professor Breitsohl. Präsentismus ist schwer zu messen Im Gegensatz zu Absentismus, der mithilfe von üblicherweise bereits gut dokumentierten Fehlzeiten von Beschäftigten vergleichsweise leicht zu messen ist, stellt sich die Messung von Präsentismus als deutlich herausfordernder dar. „Besonders schwierig ist die Frage zu beantworten, ab wann Beschäftigte eigentlich besser zu Hause bleiben sollten, um sich zu erholen, anstatt zu arbeiten. Hier bestehen naturgemäß starke fallweise Unterschiede.“ Bislang werde Präsentismus vor allem mithilfe der Selbstauskunft gemessen, was die verlässliche Erfassung des Phänomens erschwere. Außerdem stellen vor allem unsichtbare und chronische Erkrankungen Beschäftigte wie auch Unternehmen vor große Herausforderungen, Präsentismus und Absentismus gerecht zu regulieren. Nicht zuletzt deswegen entwickelt Heiko Breitsohl aktuell mit Sascha Ruhle (Universität Tilburg) ein neues Messinstrument, mit dem erfasst werden soll, als wie legitim Beschäftigte es einschätzen, krank zur Arbeit zu gehen. „Wir erhoffen uns, mit diesemMessinstrument besser zu verstehen, wie die Einschätzung der Legitimität von Präsentismus mit dem tatsächlich gelebten Präsentismus in Zusammenhang steht.“ Methodenkenntnisse sind wichtig für gute Entscheidungen Neben dem Messinstrument zur Legitimität von Präsentismus validiert Heiko Breitsohl aktuell mit Howard Klein (The Ohio State University) sowie Marina Schefer, Tammo Straatmann und Karsten Müller (Universität Osnabrück) auch noch ein neues Messinstrument für Mitarbeiterbindung, für das sie bereits den Most Innovative Paper Award 2022 auf der Conference on Commitment erhalten haben. „Innovativ ist an diesem Messinstrument, dass es kompakt vier Arten misst, auf die sich Beschäftigte bspw. an ihr Team, ihre Führungskraft oder

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