PERSONALquarterly 01 / 23 16 SCHWERPUNKT_SINN Donald Trump wird von Kontrahenten oft als Lügner bezeichnet. Obgleich er vor, während und nach seiner Zeit als US-Präsident viele Lügen produziert hat, ist davon auszugehen, dass Lügen nicht den Wesenskern der Kommunikation des Unternehmers, RealityTV-Stars und Politikers ausmacht. Stattdessen gehen wir davon aus, dass Mr. Trump der mitunter erfolgreiche Prototyp eines „Bullshit Artist“ ist. Was ist damit gemeint? Viele der Trumpschen Kommunikationsakte sind einer Klasse von Aussagen zuzuordnen, die im eigentlichen Sinne des Wortes keine Lügen sind. Stattdessen können sie als kommunikative Handlungen identifiziert werden, die gemäß dem US-amerikanischen Wissenschaftler Harry G. Frankfurt in die Sphäre des Bullshits gehören. 1986 schrieb der Philosoph einen augenzwinkernd verfassten, letztlich aber ernst gemeinten Aufsatz über dieses Thema, der 2005 als Buch weite Verbreitung fand (Frankfurt, 1986 und 2005). Zu Beginn unseres Beitrags ist folglich die Frage zu klären: Was unterscheidet den Akt des „Bullshittens“ vom Akt des Lügens? Bullshit: Begriffsbestimmung Kernmerkmal des Bullshittens ist die Beobachtung, dass es in einer Sphäre jenseits von Wahrheit und Lüge angesiedelt ist. Um dies zu verstehen, können wir zunächst eine Person betrachten, die eine irrige Behauptung aufstellt. Dieser Mensch ist möglicherweise davon überzeugt, die Wahrheit zu sagen, weiß es aber nicht besser. Folglich hat er einen Bezug zur Wahrheit, verfehlt sie aber gewissermaßen. Im Übrigen ist es gut möglich, dass dieser Mensch die Wahrheit erkennt und akzeptiert, wenn er auf den Irrtum aufmerksam gemacht wird. Der direkte Bezug zur Wahrheit lässt sich auch für den Lügner nachweisen. Eine solche Person muss die Wahrheit in Bezug auf eine gegebene Situation notwendigerweise kennen – ansonsten wäre es nicht sinnhaft, von einer Lüge zu sprechen. Allerdings entschließt sich der Akteur, absichtsvoll etwas zu behaupten, was nicht der Wahrheit entspricht. Zudem zeichnet es Lügner in aller Regel aus, dass sie auch im Angesicht von gegenteiligen Fakten die Lüge aufrechterhalten wollen. Im Sinne Frankfurts (2005) zeichnet sich Bullshit abgrenzend dadurch aus, dass der Bullshitter sich weder positiv noch Sinnlosigkeit in Unternehmen: Messung und Wirkung von Bullshit-Kommunikation Von Dr. Nico Rose und Alexander Elia (beide ehemals International School of Management, Dortmund) negativ zur Wahrheit positioniert. Stattdessen existiert Bullshit in einem Raum jenseits davon. Anders ausgedrückt: Das Konzept der Wahrheit spielt für solche Sprechakte schlicht keine Rolle. Primäres Ziel des Bullshittens ist es, mit dem Gesagten durchzukommen, kommunikative Wirkung zu erzielen – in der Absicht, die eigene Agenda voranzutreiben. Dieses Verhalten ist auch bei Donald Trump gut zu beobachten: Er behauptet einmal dies, am nächsten Tag das – nur um am dritten Tag zu verlautbaren, er habe weder das eine noch das andere jemals gesagt. Seine Kritiker versuchen an diesem Punkt, ihm Inkonsistenz nachzuweisen. Dies verfehlt in aller Regel seine Wirkung, weil Konsistenz und Kohärenz niemals das Ziel waren. Es geht vereinfacht ausgedrückt darum, seine Anhänger bei Laune zu halten und den Medien Futter zu geben. In dieser Hinsicht ist Bullshit sinnentleert und irreführend, aber trotzdem (oder gerade deswegen) zielorientiert. Littrell, Risko und Fugelsang (2021) unterteilen diese Form der Kommunikation nochmals: Demgemäß gibt es Bullshit, der darauf abzielt, unangenehmen Konversationen aus dem Weg zu gehen, ohne direkt lügen zu müssen („evasive bullshit“), und solchen, der versucht, Menschen durch Übertreibung, Angstmache und andere rhetorische Strategien von sich selbst und/oder den eigenen Zielen zu überzeugen („persuasive bullshit“). Im Übrigen ist Bullshit verwandt mit Konzepten, die ebenfalls rund um den politischen Aufstieg von Donald Trump diskutiert wurden. Entsprechende Begrifflichkeiten sind bspw. „Post-Truth“ oder die sprichwörtlich gewordenen „alternativen Fakten“. Bullshit als Wesenskern der Kommunikation in Organisationen Einige Forscher argumentieren, dass der Akt des Bullshittens nicht nur in der politischen und gesellschaftlichen Sphäre eine Rolle spielt, sondern mittlerweile auch den Wesenskern der Kommunikation in Unternehmen repräsentiert. Bullshit in Organisationen ist allerdings kein komplett neues Phänomen. Keyes spricht bereits 2004 von einer „Welt nach der Wahrheit“ (Keynes, 2004). Es geht um einen kommunikativen Rahmen, in dem objektive Fakten weniger hilfreich sind, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen, als das Appellieren an Emotionen
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