Personal Quarterly 1/2023

PERSONALquarterly 01 / 23 12 SCHWERPUNKT_SINN Repräsentativität vor allem Einblicke in die subjektiven Erfahrungswelten der Beschäftigten sowie Erkenntnisse über zentrale Themenschwerpunkte. Sinnerleben und Barrieren des Sinnerlebens im Homeoffice Mit Blick auf die Arbeitsbedingungen überwiegt ein positives Bild des Homeoffice in den Beschreibungen der Diskussionsteilnehmenden. Sie werten die Arbeitsmöglichkeit als Chance einer autonomeren und selbstbestimmten Form der Arbeit, die auch die Arbeitswelt der Zukunft beeinflussen wird. Die Erfahrung von Autonomiegewinnen und eigener Zeitgestaltung bilden die zentralen Sinnquellen. Besonders die Möglichkeit, einen eigenen zeitlichen Rhythmus und Alltag zu gestalten, sowie der Wegfall von Pendelzeiten werden positiv hervorgehoben. Beides ermöglicht, sich mehr auf die wesentlichen Dinge der Arbeit zu konzentrieren. Neben den positiven Erfahrungen lassen sich auch zentrale Barrieren des Sinnerlebens imHomeoffice benennen (vgl. Abb. 2): Stress im Homeoffice: Auch wenn die Arbeit im Homeoffice teilweise zu einer Reduktion von Stress führt, beschreiben die Diskussionsteilnehmenden eine Zunahme von Stressquellen, die sich negativ auf das Sinnerleben auswirkt. Hierzu gehört die enge Taktung digitaler Treffen, die öfter außerhalb der formalen Arbeitszeit stattfinden. Die raum-zeitliche Entgrenzung wird als Hauptfaktor der Stresszunahme beschrieben. Kritisiert werden bspw. Anforderungen der „Sofortness“ und des permanenten „Multi-Kanal-Erreichbarkeitsverhaltens“. Diese veränderten zeitlichen Anforderungen werden teilweise als „Strukturverlust“ erlebt, der die schwer aufrecht zu erhaltende Trennung in Arbeit und Privates zu Hause zu einer „wahnsinnige[n] Belastung“ macht. Gemeinschafts- und Resonanzverlust: Die Verlagerung der Kommunikation in den digitalen Raum und die fehlende physische Kopräsenz werden als Gemeinschaftsverlust erlebt. Der Zusammenhalt leidet, weil der sporadische Kontakt fehlt, der über einen professionellen Austausch hinausgeht. Teilweise kommt es dennoch zu einer quantitativen Zunahme von Treffen. Die Kommunikation ist im Homeoffice also keineswegs eingebrochen, die Qualität der Kommunikation hat sich jedoch spürbar verändert und der Wegfall informeller, persönlicher Gespräche wird beklagt. Digitalen Kommunikationsmitteln werden inhärente Grenzen zugeschrieben, wenn es um die Vermittlung vonWertschätzung und Zugehörigkeitsgefühl geht. Dagegen wird dem analogen Raum eine Qualität zugeschrieben, die digital nicht imitierbar ist und dessen Wegfall als „Entsinnlichung“ erlebt wird. Versuche der Übertragung sinnstiftender Kommunikation in den digitalen Raum werden teils als „billiger Kompromiss“ wahrgenommen, „diese wirkliche tiefgehende zwischenmenschliche Resonanz, die fehlt letzten Endes“. Hinterfragen des Sinns der Arbeit auf individueller Ebene: Die beschriebenen Veränderungen führen bei den Befragten aus klassischen Gruppendiskussionen, über die kollektive Orientierungen der Gruppe freigelegt werden können, und Gruppeninterviews, in denen die individuelle Meinung der Teilnehmenden eingefangen wird, durchgeführt. Der Zeitraum der Erhebung erstreckt sich von kurz vor dem Inkrafttreten der Homeoffice-Pflicht am 27.02.2021 über die Verschärfung am 21.04.2021 und die vorübergehende Aufhebung am 01.07.2021. Die letzten Diskussionen fanden nach der Wiedereinführung der Homeoffice-Pflicht, die erst zum 20.03.2022 gänzlich aufgehoben wurde, am 24.11.2021 statt. Insofern bildet die Untersuchung die Erfahrung von Homeoffice unter den Bedingungen kontakteinschränkender Maßnahmen ab. Gerade für die Erfahrungen eines Gemeinschaftsverlusts lässt sich nicht genau abgrenzen, wie viel Anteil die kontaktbeschränkenden Maßnahmen des Lockdowns und wie viel die Erfahrungen im Homeoffice als solche haben, da diese in der Erfahrungswelt der Befragten notwendigerweise miteinander verschränkt sind. Jedoch gilt es, diese Verschränkung bei der Interpretation der Ergebnisse zu reflektieren. Voraussetzung für die Teilnahme war neben der digitalen Ausführung der Arbeit die Selbstidentifikation als Wissensarbeiterin bzw. Wissensarbeiter. Die Teilnehmenden verfügen über eine akademische Ausbildung und ihre Tätigkeiten bestehen überwiegend aus dem Erwerb und der Nutzung von Wissen. Das Sample umfasst hochqualifizierte Beschäftigte aus Wissenschaft und Lehre, Programmierer und Programmiererinnen, Berater und Beraterinnen von Wirtschaft und Wissenschaft, leitende Angestellte aus den Bereichen IT, Medien und Finanzwesen und New-Work-Expertinnen und -Experten. Insgesamt waren 50 Personen (30w/19m/1d) im Alter von 27 bis 62 Jahren an den Diskussionen beteiligt. Die Befragten sind durchschnittlich seit 6,9 Jahren in ihrer aktuellen Tätigkeit befristet (18) oder unbefristet (28) angestellt oder selbstständig tätig (2), sodass davon ausgegangen werden kann, dass die mit dem Homeoffice eintretenden Veränderungen auch als solche wahrgenommen werden können. Die Gruppendiskussionen orientierten sich in der Durchführung und Analyse an Kühn und Koschel (2018), wobei einige Anpassungen für die virtuelle Durchführung vorgenommen wurden. Hierzu zählt, dass erstens kleinere Gruppen zusammengestellt wurden und zweitens die Diskussion stärker strukturiert war und sich eine Gesprächsreihenfolge etabliert hat. Themen der Diskussion waren Sinn und Entfremdungserfahrungen sowie die Zukunft der Arbeit und New Work. Für die Darstellung der Ergebnisse werden zunächst die positiven Erfahrungen und die Barrieren des Sinnerlebens aufgezeigt. Anschließend werden die Strategien der Sinnfindung beschrieben. Mit Blick auf die Reichweite der Untersuchung ist durch das Sampling und den Einbezug heterogener Studienteilnehmer und -teilnehmerinnen eine inhaltliche Repräsentativität der Befunde gegeben. Diese bietet im Gegensatz zur statistischen

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