PERSONALquarterly 1/2016 - page 57

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Allerdings ist die Zufriedenheit – so seine Studie „Das Ende
der Zeitnot“ – bei einigen Älteren getrübt, weil zum Beispiel
Hausfrauen ihre Aufgaben nicht umverteilen können auf ih-
re Ehemänner, die ihre gewonnene Freizeit den schönen Sei-
ten des Lebens widmen. Unfreiwilliger Ruhestand bei 55- bis
64-Jährigen erzeugt Unzufriedenheit, den Menschen wird die
Zeit lang. Auch Männer und Frauen, die einen Mangel an Kon-
takten zu Freunden und Verwandten verspüren, bleiben unzu-
frieden – allerdings ist diese Gruppe sehr klein. Dagegen sind
Pensionäre, die im Status und in der Funktion einen hohen
Rang innehatten, zufrieden, weil etliche Funktionen bleiben,
sie also keinen Verlust erleiden, aber einen Zeitgewinn haben.
„Die Gruppe der Alten sind der heterogenste Teil der Gesell-
schaft“, so Engfer, der nun weitere Aspekte des entschleunigten
Alltagslebens untersucht: die Gesundheit, die Wohnverhält-
nisse und die materielle Lage. Seine Fragen: Welchen Einfluss
hat Altersarmut, die zu Teilzeitjobs führt, auf die Zufriedenheit?
Und: Warum bleiben Rentner, obwohl sie mobiler sind, in den
Städten wohnen, tragen also zur Reurbanisierung bei?
Individuelles Anspruchsniveau bestimmt Lebensqualität
Hier treffen sich Engfers Fragestellungen mit denen des Alters-
forschers Andreas Kruse. Der Direktor des Instituts für Geron-
tologie der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg findet die
Altersbilder in Deutschland nicht ausreichend differenziert.
Vor allem stört ihn die Fokussierung auf den Defizitgedanken.
Statt die Engagementbereitschaft Älterer zu nutzen, werden
sie aus dem öffentlichen Raum ausgeschlossen. Für Kruse wird
Lebensqualität im Rentenalter bestimmt von objektiven und
subjektiven Merkmalen. Objektiv sind messbare Faktoren der
Lebenslage, zu der Gesundheit genauso gehört wie Wohnen
und finanzielle Möglichkeiten. Subjektiv ist dagegen das indi-
viduelle Anspruchsniveau. „Es zeigen sich in der subjektiven
Deutung der eigenen Lebenslage auch bei objektiv ähnlichen
V. l. n. r.: Assistent Professor Aspen Gorry (Utah State University), Dr. Uwe Engfer (Technische Universität Darmstadt),
Prof. Dr. Andreas Kruse (Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg)
Konstellationen große Unterschiede“, sagt Professor Kruse.
Studien haben ergeben, dass die Anpassungsfähigkeit älterer
Menschen beträchtlich ist. Unter hoch belastenden, einschrän-
kenden Lebensbedingungen treffen die Forscher eine bemer-
kenswerte Lebenszufriedenheit an.
Für den Erhalt von Zufriedenheit ist die Chance auf ein
mitverantwortliches Leben ein wichtiger Faktor: Den Alltag
strukturieren, sein Leben in den Dienst einer Sache oder ande-
rer Menschen stellen, Wissen an nachfolgende Generationen
weitergeben, befruchtende soziale Beziehungen pflegen, das
sind Aspekte eines schöpferischen Lebens im Alter. Wenn
Andreas Kruse von alten Menschen spricht, meint er Men-
schen 85 plus. Die jüngeren Alten scheinen ihm integriert und
selbstbestimmt. Zumindest, wenn sie frühzeitig eine positive
Grundhaltung zumAltern einnehmen. Der 60-jährige Forscher
entwickelt dazu mit seinem Team Reflexionsseminare. Bei der
Deutschen Bahn erprobte er „CLARA – Clever und Aktiv Rich-
tung Alter“, eine betriebliche Weiterbildung für Mitarbeiter
jenseits der 40. Fünf Tage lang beschäftigen sich die Bahner
mit ihrer Gesundheit, ihren Plänen und Zielen – zu denen die
Fitness für den Job ebenso gehört wie die Freizeitgestaltung.
Auch die Stadt Heidelberg griff auf die Kompetenzen der Al-
tersforscher vor Ort zurück und legte 2013 „AVITA – Aktiv
und Vital ins Alter“ auf. Solch eine lange vor dem Ruhestand
beginnende Auseinandersetzung mit der Frage, wie man die
späte Freiheit des Alters verwirklichen und gestalten will, die
rechtzeitig beginnende Suche nach Tätigkeitsfeldern außer-
halb des Berufs, die Pflege und Vertiefung der Beziehungen
innerhalb und außerhalb der Familie, die Wahrung von Offen-
heit für Neues und von Neugierde: Dies sind zentrale Schritte
hin zur Zufriedenheit – und bergen spannende Forschungsthe-
men wie Bildung und Prävention im Alter oder die Bedeutung
des Alters für das Zusammenleben der Generationen. Andreas
Kruse traut älteren Menschen da eine Menge Kreativität zu.
© AMERICAN ENTERPRISE INSTITUTE
© UNIVERSITÄT HEIDELBERG, KOMMUNIKATION UND MARKETING
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