Seite 18 - DIE_WOHNUNGSWIRTSCHAFT_2013_04

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Die Bewohner sollten intensiv
mit einbezogen worden. Hat das geklappt?
Die Erfahrung hat gezeigt, dass Einwanderer mit
der herkömmlichen „deutschen“ Beteiligungskul-
tur nur selten erreicht werden. So wurde 2007
eine „interkulturelle Planungswerkstatt“ von
Beginn an als Gemeinschaftserlebnis inszeniert,
bei dem jeder seine Ideen einbringen konnte. Ein
mehrsprachiger Dialog war der Kommunikati-
onsschlüssel: Die Werkstatt startete mit sechs
mehrsprachigen Heimatforschern, die den direk-
ten Kontakt an der Haustür suchten, dieMenschen
vor Ort zu ihrer Wohnsituation und zu ihrer Vor-
stellung von Heimat befragten. In zwei Workshops
wurde die Beteiligung fortgeführt.
Was erhoffen Sie sich langfristig von der IBA?
Die IBA hat verdeutlicht, dass optimale Stadtent-
wicklung als Projekt verstanden werden muss, in
dem die unterschiedlichsten Belange und Inte-
ressen eingebracht, diskutiert, abgewogen und
entschieden werden müssen. Gute Beispiele sind
neben der Modernisierung der Wohnungen die
Weiterentwicklung der Bildungseinrichtungen
oder die Entwicklung des Weltgewerbehofes durch
die GWG Gewerbe, die über die einzelne Wohnan-
lage hinausgehende Konzeption von Energiever-
sorgung und die Einbindung der Außenanlagen in
das Umfeld. Insoweit hat die IBA den Instrumen-
tenkasten für eine umfängliche Stadtteilentwick-
lung deutlich erweitert.
Bei so vielen schönen Projekten geht auf der
Elbinsel die Angst vor Gentrifizierung und
explodierenden Mieten bzw. Wohnungsprei-
sen um. Wie sehen Sie das?
40% der Wohnungen in Wilhelmsburg befinden
sich im Eigentum von SAGA GWG. Zusätzlich ha-
benmehrereGenossenschaftenWohnungen auf der
Elbinsel. Dadurch ist auchweiterhin einemoderate
Mietenentwicklung auf der Elbinsel gewährleistet.
Hier wird also niemand vertrieben. Dass darüber
hinaus eine zahlungskräftigere Klientel auf die
Elbinsel zieht, ist durchaus gewünscht.
Wie sehen Sie die Zukunft des Quartiers
in fünf bis zehn Jahren?
Stadtentwicklungen benötigen Zeit. Ich bin zu-
versichtlich, dass Wilhelmsburg bereits in fünf bis
zehn Jahren ein nachgefragter Wohnstandort mit-
ten imHerzen Hamburgs seinwird: mit einer guten
Infrastruktur, differenziertenWohnmöglichkeiten
in einem grünen Umfeld, modernen Bildungsein-
richtungen und einem hohen Freizeitwert.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Richter, Hamburg.
Modernisierte und klimafreundliche Wohngebäude im September 2012 im IBA-Projekt Weltquartier
IBA Hamburg GmbH/Martin Kunze
„Das innovativste Quartier Europas“
Nach siebenjähriger Vorbereitungszeit findet in Hamburg dieses Jahr die IBA 2013 statt – die
erste Internationale Bauausstellung in der Hansestadt. Die IBA will ein Experimentierfeld der
Stadtentwicklung sein. Modellhäuser zeigen, wie wir im 21. Jahrhundert bauen, leben und
arbeiten, uns mit Energie versorgen und mit den Herausforderungen des Klimawandels und
der internationalen Stadtgesellschaft umgehen. Diese IBA ist aber viel mehr als eine Bau-
ausstellung; das „Labor“ wird auf die Elbinseln ausgedehnt, ein rund 35 km
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großes Gebiet
im Süden Hamburgs, das neben Hafen- und Gewerbeflächen zwei Quartiere des Stadtteils
Wilhelmsburg, das Stadtviertel Veddel und den Harburger Binnenhafen umfasst. Die Stadt will
die lange vernachlässigten und mit einem schlechten Image belegten Viertel weiterentwickeln
und im Rahmen des Konzepts „Sprung über die Elbe” stärker an die nördlich der Elbe gelegene
Innenstadt anbinden.
Mehr als 60 Projekte werden realisiert, von einzelnen Bauwerken über ganze Quartiere bis
zu politischen und sozialen Programmen. Wenn alle Projekte greifen, soll aus dem Gebiet mit
50.000 Menschen, ein Drittel davon Migranten, ein ganz neuer Stadtteil werden: familien-
freundlich, ökologisch und bildungsorientiert – „das innovativste Quartier Europas“, wie IBA-
Chef Uli Hellweg sagt. Vor allem soll moderner, nachhaltiger und architektonisch interessanter
Wohnraum entstehen, 1.217 Einheiten im Eigentum und zur Miete.
Auch für das neue Weltquartier des städtischen Wohnungsunternehmens SAGA GWG haben
sich die Macher der IBA viel vorgenommen. Hier wohnen in 750 Wohnungen rund 1.700 Men-
schen aus fast 30 Herkunftsländern. Mit 99 Mio. € wird die Arbeitersiedlung aus den 1930er
Jahren in ein modernes und klimafreundliches Wohngebiet verwandelt. 271 Wohnungen wer-
den abgerissen, 278 neu errichtet, die anderen werden umgebaut und energetisch saniert. Alle
Bewohner der sanierten Häuser wurden dafür Ausweichwohnungen zur Verfügung gestellt.
Das Weltquartier soll nicht nur ein Modellprojekt für interkulturelles Wohnen sein, sondern
auch beweisen, dass sich anspruchsvoller Klimaschutz bei bezahlbaren Mieten realisieren lässt.
Die 278 Neubauten werden überwiegend im Passivhausstandard errichtet. Ab 2013 soll der
benachbarte alte Flakbunker als „Energiebunker“ regenerative Energie für die Erzeugung von
Wärme und Strom liefern, so dass für die modernisierten Gebäude im Weltquartier der CO
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Ausstoß auf null und der Primärenergiebedarf von jährlich 300 auf 9 kwh/m
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sinkt.
IBA und SAGA GWG haben sich sehr um Bürgerbeteiligung bemüht. Die Bewohner wurden zu
Workshops und Veranstaltungen eingeladen, für das Weltquartier wurde von der IBA 2007 eine
interkulturelle Planungswerkstatt initiiert. Erwachsene und Kinder diskutierten mehrsprachig
und arbeiteten mit Fotos und Modellen an neuen Wohnungsgrundrissen. Die Ergebnisse flossen
in den städtebaulichen Wettbewerb zum Umbau der Siedlung ein.
Parallel zur IBA findet die Internationale Gartenschau (IGS) statt. Offizielle Eröffnung der IBA
ist am 23. März 2013. Die IGS wird im April eröffnet. Das Rahmenprogramm mit Veranstaltun-
gen, Besichtigungen, Fachtagungen und Kongressen dauert bis Oktober 2013.
EIN MODELL VON EINER STADT
Weitere Informationen:
d
STÄDTEBAU UND STADTENTWICKLUNG
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4|2013