Seite 112 - CONTROLLER_Magazin_2013_02

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Der Begriff
(…) Ob eine Kennzahl zu einem Indikator wird
und ob der Indikator für ein Frühwarnsystem
genutzt werden kann, hängt davon ab, in wel-
chem Maße aktiv oder passiv mit verfügbaren
Daten umgegangen wird. Wenn aus einer
Kennzahl ein Indikator werden soll, muss (…)
die erhaltene Information in den Kontext jener
Geschäftsvorfälle eingeordnet werden, die ihr
zugrunde liegen. (…) Solange sich der Kontext
auf vergangene Geschäf tsvor fälle bezieht,
erhält die Information der Kennzahl den Cha-
rakter eines Spätindikators. In einem weiteren
Schritt kann nun der Indikator mit einer Kette
von Annahmen verbunden werden, die in die
Zukunft weisen.
Beispiel: Sie gehen davon aus (Annahmekette),
dass Ihr Unternehmen durch das gesunkene
Risiko in ein besseres Rating Ihrer Hausbank
eingestuft werden kann und sich dadurch nicht
nur die Konditionen sondern generell die Mög-
lichkeiten künftiger Kreditaufnahmen für Inves-
titionen verbessern. Außerdem gehen Sie
davon aus, dass sich ein gesunkenes Risiko
auch in sinkenden Kapitalkosten niederschlägt.
Das alles verbessert Ihre Spielräume z. B. für
ein erweitertes Kundenbindungsprogramm.
Durch die Annahmeketten verwandelt sich die
Information der Kennzahl in einen Frühindikator.
(…) Die Güte eines Frühindikators hängt von
verschiedenen Faktoren ab; z. B.:
– Wie fundiert ist die verwendete Annahmekette
(…)?
– Beruht die Kette auf eigenen Erfahrungen oder
liegen ihr theoretische Ableitungen zugrunde?
– Werden die Annahmen aufgrund fremder
Empfehlungen verwendet oder gründen sie in
eigenen Entscheidungen?
– Ist die verwendete Kette im gesamten Unter-
nehmen kommuniziert und von allen verstan-
den (…)?
Kann (eine Krise) mithilfe von Frühindikatoren
rechtzeitig vorher erkannt werden? Alle größe-
ren Krisen waren mit unerwarteten Elementen
verbunden. Die Erschütterungen der Jahre
2008/2009 bspw. lagen u. a. daran, dass das
Ausmaß der wechselseitigen Abhängigkeit und
internen Verflechtungen des internationalen
Finanzwesens nicht wirklich bekannt war und
daher das Tempo und die globale Gleichzeitig-
keit der Wirkungen einer einzigen – und isoliert
betrachtet nicht einmal sehr gravierenden –
Pleite (Lehman Brothers) vollkommen überra-
schend kam. Wenn aber auf diese Weise
Annahmeketten entweder gar nicht erkennbar
sind oder durch die Ereignisse obsolet werden,
haben Frühindikatoren dann überhaupt einen
Sinn? Sofern es nur darum ginge, Zeitpunkt,
Betroffenheit, Ausmaß und Verlauf einer Krise
zu prognostizieren, hätten Frühindikatoren in
der Tat nicht viel Sinn. Jede Krise bringt auch
viele Ungleichgewichte, Versäumnisse und
Ungereimtheiten ans Tageslicht. Hier ist die
Krise nur der Auslöser und nicht die Ursache der
offenbarten Probleme. An dieser Stelle können
Frühindikatoren ausgesprochen hilfreich sein.
Wenn z. B.
– allzu große Umsatzmöglichkeiten dazu verlei-
ten, innovative Projekte zugunsten kurzfristi-
ger Kapazitätsausweitungen zu verschieben
(die „Anzahl neuer Ideen in der Pipeline“ geht
zurück; der „Anteil Mitarbeiter mit regelmäßi-
gem, direkten Kundenkontakt“ wird geringer)
– der Arbeitsdruck die Vernachlässigung von
Qualitäts-Entwicklung und -Sicherung zur
Folge hat (die „Fehlerkosten“ steigen; die
„Alleinstellungsmerkmale“ gegenüber dem
Wettbewerb nehmen ab; der „Anteil der Auf-
wendungen für Marktbeobachtung“ sinkt)
– zur besseren Schichtauslastung Weiterbil-
dungsmaßnahmen gestrichen werden (der
„Anteil Weiterbildungsstunden an den Gesamt-
stunden“ sinkt; der „Erfüllungsgrad der Kom-
petenz- bzw. Anforderungsprofile“ geht zurück)
– die Chance auf schnelles Geld dazu (ver)führt,
dass durch Fusionen, Zukäufe, Neubauten
oder ähnlichen Maßnahmen Flexibilität verlo-
ren geht (der „Anteil Strukturkosten an den
Gesamtkosten“ nimmt zu; die „Zeit für die
Überwindung unternehmensinterner Wider-
stände“ steigt; die Relation von „Rohertrag zu
Personalkosten“ sinkt)
– zur Gegensteuerung eine Variabilisierung von
Kosten durch Aufgabe von Kernkompetenzen
erfolgt (der „Anteil der Stammbelegschaft“
nimmt ab, der „Outsourcing-Grad wesentli-
cher Entwicklungsleistungen und Zulieferun-
gen“ nimmt zu)
– Finanzkonstruktionen zusätzliches Renditepo-
tenzial erschließen sollen, das mit schwer kal-
kulierbaren Risiken verbunden ist (die „Rate
der nicht betriebsnotwendigen Finanzanlagen“
steigt; der „Anteil derivativer Wertpapiere im
Umlaufvermögen“ nimmt zu)
– die Fremdfinanzierungs-Rate des Wachstums
zunimmt (der „Verschuldungsgrad“ steigt)
– Gewinnausschüttungen (teilweise) über Kre-
dite finanziert werden (der „Finanzierungsmix“
verschlechtert sich),
dann mögen vielleicht einzelne dieser Signale
keine Gefahr bedeuten. Aber dennoch und vor
allem in geballter Form sollten sie als mögliche
Anzeichen für grundlegende Verwerfungen
ernst genommen werden.
In der Praxis haben eine Reihe von Unterneh-
men weitere Kenngrößen entwickelt, die ent-
stehende Probleme bereits frühzeitig anzeigen.
Einige Beispiele sollen hier genannt werden:
Kundenanteil / Relation zwischen Umsatzpo-
tenzial und Umsatz / Gewichtete Kundenfluktu-
ation / Gewichtete Lieferantenfluktuation /
Reputation / Marktanteilsabstand zum besten
Wettbewerber / Relation zwischen Auftragsein-
gang und Produktivitätswachstum
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Ersteinsteller:
Walter Schmidt,
Rainer Vieregge,
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Ständig sucht der ICV Experten, die
im ControllingWiki auf der ICV-Web-
site Fachbegriffe erklären. Die Wiki-
Startseite gibt konkrete Handlungsan-
weisungen, wie dabei vorzugehen ist.
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